O’zbekiston


Hörend mitradeln:


Ein Anruf – die Verkäuferin kommt zur Ladentür geschlurft und der Getränkeladen öffnet - kalte Cola- Schattenpäuschen- endlich. Dazu gibt es ein Küsschen für mich und ein breites Goldzahnlächeln für uns beide. Die erste komplett vergoldete obere Zahnreihe strahlt uns entgegen. Das kalte Getränk- eine Belohnung für uns. Auch die Temperaturpistole des usbekischen Grenzdoktors hat bei uns exakt 36Grad Körpertemperatur gemessen- wahrscheinlich wie bei jedem anderen auch. Wir selbst allerdings fühlen uns mächtig überhitzt in den ersten Kilometern usbekischen Niemandslandes -immer diese merkwürdigen nichtssagenden Grenzgebiete. Und warum nur habe ich geglaubt, in Usbekistan würde der Wind weniger stark sein und die Landschaft weniger Wüste? Aber Wüste und Oase, vertrocknete Staubflächen und bewirtschaftete Felder wechseln sich bald ab.

 

Die Straße ist breit geblieben. Mit ihrer überdimensionierten Größe zweiteilt sie die Ortschaften, sorgt dafür, dass linke und rechte Häuserreihe sich nicht zu einem Ganzen zusammenfügen können. Wie eine Trennlinie fährt sie durch die Dörfer, manchmal vergrößert je ein Graben links und rechts den Grenzbereich. Die schweren, zu einer Mauer aneinandergereihten Betonklötze, die hier den Mittelstreifen ersetzen, tragen ihr Übriges dazu bei.

 

Betrachten wir die Höfe und Grundstücke losgelöst von der alles dominierenden, sowjetisch breiten Straße, dann fühlen wir uns ein bisschen an Rumänien erinnert. Auch hier Mauer an Tor, an Haus, an Mauer, an Nachbargrundstück. Eine zusammenhängende Wand, hinter die man nur selten einen Blick werfen kann. Vor den Grundstücken blühen Blumen und es rankt der Wein. Übervolle Weinreben hängen schwer und tief über den Grundstückseinfahrten, die Trauben scheinen kurz vorm Zerplatzen. Durch offene Tore erblicken wir dichtes grün, hinter den Mauern und Metallwänden scheinen die Grundstücke schier nicht enden zu wollen. Mais, Blumen, tragende Obstbäume, Wiesen… Je weiter wir ins Land kommen, desto reicher scheinen die Selbstversorger-Grundstücke bepflanzt zu sein.

 

Auch wenn der klobige Asphaltstreifen den Raum verändert hat und der Verkehr durchaus trubelig dicht ist, besitzt die Straße keinen Autobahncharakter. Fußgänger klettern über die Mittelsperre, Menschen bewegen sich am Straßenrand, versuchen zu trampen oder halten die nächste Sammeltaxi-Marschrutka an. Es gibt neben uns hier auch andere Fahrradfahrer. Die Straße, wenn auch breit und groß, gehört hier den Menschen. Es lebt auf dem Asphalt, manchmal allerdings müssen wir zweimal hingucken: Sind diese Personen echt? Nee. Oder doch? - Bald schon gehören die Plastikaufsteller-Menschen dazu, sind gar nicht mehr rauszudenken aus dem usbekischen Landstraßenbild. An jedem Zebrastreifen, das immergleiche Mädchen mit dem kleinen Jungen an der Hand. In der Mitte der kleine Straßenverkehrshelfer. Und bald beginne ich mich auch bei echten Menschen zu fragen, ob sie vielleicht nur Aufsteller sein könnten.

 

Wir können bestimmt irgendwo in der Dämmerung unbemerkt unser Zelt aufschlagen in irgendeinem Feld. Oder da, am Besten auf irgend so einem Feldarbeiter-Pausen-Schattenverschlag. Unbemerkt, das können wir jedoch vergessen. Bis zum Sonnenuntergang sind die Felder voll-Während wir durch das Land radeln, scheint die ganze Bevölkerung- von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang- auf den kleinen Äckern und großen Feldern rumzufuhrwerken.

Die Sonne geht gleich unter. Wir drehen um und halten an. Ein junger Mann hat uns rangewunken. Er flitzt auf sein Feld und kommt umgehend mit einer Wassermelone in der Hand zu uns zurück, die er uns schenkt. Ob wir hier unser Zelt aufschlagen dürfen? Die erste Nacht in Usbekistan- was für ein Schlafplatz. Wir klettern die kleine Holztreppe hoch und schauen begeistert auf Melonen- und Baumwollfeld hinab. Denn ja, wir dürfen - und unser Zelt bekommt sogar den Ehrenplatz auf der oberen Etage des zusammengezimmerten Bretterkunstwerkes, dem Pausen- und Schlafplatz der Familie. Irgendwo da hinten am Feldesrand muss deren Haus sein, denn von dort kommt ständig noch ein weiteres Familienmitglied angelaufen. Die Melonen verkauft ihr nicht- die esst ihr alle selber? Eine fünfzehnköpfige Familie kann über den Sommer anscheinend ein ganzes Melonenfeld verputzen. Morgens, mittags, abends Wassermelone. Händewaschen mit der hübsch verzierten, gusseisernen Wasserkanne- es gibt Tschoi, Honig, selbstgebackenes Brot von Oma und natürlich- Wassermelone. Und die ersten usbekischen Wörter. Man ist das ist tschroile hier!

 

Das Frühstückstablett balanciert auf dem schmalen Grenzweg zwischen Melonen- und Baumwollfeld in unsere Richtung. Es ist noch früh, aber die unter uns Schlafenden haben ihre Betten längst verlassen und Matten und Decken sind zusammengestapelt in der Ecke des Podestes gelandet. Drei Eier für Jeden. Tee aus der Teeschale. Der Deckel der hübsch glasierten Teekanne ist mittels Wollfaden mit dem Henkel verbunden.

Weiter geht’s. Die Menschen sind schon auf ihren Feldern oder noch auf dem Weg dahin. Wir überholen etliche Eselkarren oder radeln neben Feldarbeitern auf ihren quietschenden Eingang-Rädern her, die in einer Hand den Lenker und in der anderen die Hacke halten. Die ersten bauen ihren Straßenverkauf auf, der Holzlaster ist bis obenhin mit Melonen gefüllt. In einer Mini-Menschenkette hüpfen die schweren, riesigen Wassermelonen vom Laster in die einen Arme, weiter in die nächsten Hände und landen schließlich sanft auf dem großen Melonenhaufen. Wir fahren an Menschen vorbei, die ihren Weg in die Stadt mittels Autostopp bewältigen, kein Daumen raus, sondern die flache Hand ausgestreckt. Grüßen und Winken und Lächeln.

 

Wir rollen nach Buxoro rein, durchs immer dichter werdende Stadtgehupe und sehen endlich, was an diesen Autos anders ist, die zwar alle super alt aussehen und sind, aber weiß Gott nicht so furchtbare Luft hinterlassen. Busse, Laster und kleine PKWs- alle fahren hier mit Gas. Die kleinen Karren haben die Gasflaschen im Kofferraum und das Gepäck dafür auf dem Dach. Wir fahren vorbei an Blechdachhäusern, an den lustigen Cola- und Fanta-Zapfständen, an rauchender Grillkohle, an großen Schildern, die die frischen Comca-Teigtaschen bewerben. Schon von weitem sind die Bauten und Türme des alten Buxoros zu sehen.

Im Altstadtzentrum selbst ist die Stadt eine andere geworden- der Stadtkern ist autofrei, das Zentrum geleckt und noch ist hier gähnende Leere vor den Touristenattraktionen. Die ersten Händler bestücken ihre Souvenirstände mit orientalischem Nippes, mit Kleidung im typisch usbekischen Stil, mit Postkarten oder Brotstempeln. Wir landen in Buxoros touristischer Parallelwelt, an uns klebt immer noch der komplette Turkmenistandreck. Hotelpause – die erste und beste Dusche seit Langem. Königlich betten wir uns in weißen Laken, stellen die Klimaanlage an und haben erstmal überhaupt kein Bedürfnis, dieses eben bezogene Zimmer jemals wieder zu verlassen.

 

Azur, Nachtblau, Wasserblau, Himmelblau, Violettblau, Ultramarin, Türkisblau, Pastellblau, Ozeanblau, Grünblau. Cyan in hell und dunkel. Dazwischen Grüntöne, Gelb und Weiß. Die Fliesen und Steinchen sind bunt glasiert und kunstvoll angeordnet. Sie verzieren die Kuppeln und mehrgeschossigen Spitzbogenarkaden, die Iwane und Minarette. Die gigantischen und besonders detailreich dekorierten stattlichen Portale der Medressen und Moscheen Buxoros überfluten die Augen mit Farben und Mustern bereits seit über 500 Jahren. Wieder diese tolle islamische Baukunst. Die Höhe der Pischtak-Vorbögen- ein Symbol für die geistige Größe, die der Mensch innerhalb dieser Mauern erlangen wird. Buxoros Bilderbuchaltstadt- keine vereinzelt imposanten Bauwerke, sondern ein vollständiges Gesamtbild aus gepflasterten Gassen, beeindruckenden Plätzen mit symmetrisch angeordneten Medressen und Moschen, überkuppelten Gängen, erhalten und restauriert oder im gleichen Stil und mit altherkömmlichen Materialien neu aufgebaut. Der Blick bleibt an eindrucksvoll geschnitzten Holzpfeilern hängen, jeder individuell gemustert. Schaut man nach rechts, verpasst man das, was links liegt. Schaut man nach innen, verpasst man das, was draußen ist. Buxoros historische Altstadt ist beeindruckend vollkommen und erhalten. Diese wahnsinnig reich dekorierte zentralasiatische Staat bietet in jeder Ecke neue Feinheiten. Die umliegenden Gassen sind schmal, die Innenhöfe der alten Häuser bieten Schatten und fangen gleichzeitig Licht ein.

 

Dass dieser Ort Touristen von überall anzieht, ist verständlich. Dass wir, sobald wir unser Rad im Hotel gelassen haben, als potentielle Souvenirkäufer wahrgenommen werden, ist ungewohnt und befremdlich. Dass hier abends am Teich biertrinkende Menschen in luftig sommerlichen Klamotten ihren Urlaub genießen, ist nach der Zeit iranischer Verbote ein ungewohnter Anblick von Freiheit. Dennoch- für allzu viel Hoteltourismus fühlen wir uns doch ein wenig fehl am Platz. Wir brechen auf, ohne I-love-Buchara-T-Shirt, aber mit den beeindruckenden Altstadtbildern vor Augen und voller Freude aufs Weiterradeln- jetzt in Richtung Samarkand.

Es knallt. Das Taxi ist spontan vor uns eingeschert- hat gehalten- und Arne- die Augen aufs Navi gerichtet- fährt voll drauf. Das schwerbeladene Rad und Arne landen sicher, das Gewicht des Rades hat verhindern können, dass Arne über das Auto hinwegschießt. Am Auto wenige Kratzer- egal. Eine Schrecksekunde und der Aufatmen-und-Ist-doch-nichts-passiert-Moment. Jetzt das Rad von der Straße schieben und setzen. Was? Das Rad lässt sich nicht schieben! Der Rahmen- der ist ja vollkommen verbogen!!! Wie kann das denn sein? Das war doch nicht mal schnell! Und auf einmal bricht alles über uns zusammen. Der Radeltag ist vorüber- mehr noch- binnen Sekunden ist unsere Reise vorbei. Das Bild vom Pamir-Highway fällt zusammen. Alles, was gerade noch so nahe erschien, ist auf einen Schlag weit weggerutscht. Und aus Arne ist ein niedergeschlagenes Häufchen Elend geworden, das jetzt am Straßenrand sitzt und ungläubig auf sein kaputtes Fahrrad schaut. Wir sind fassungslos. Wie gelähmt und mindestens genauso geknickt wie Arnes schönes grünes, selbstgebautes Fahrrad.

 

Zurück in die Stadt. „Es tut mir so Leid“ wechselt sich ab mit „Scheiße“, „verfickte Scheiße“, „verfickte Kackscheiße“. Jetzt müssen wir Optionen überlegen. Kann man das Reparieren? Die nächsten Tage sind zermürbend. Notreparieren- Schweißer finden. Mit dem Hoteltaxifahrer klapper ich die Autobuden ab. Die ersten Zwei lassen uns beide abblitzen. Bei der Dritten heißt es- Schnell weg- der will nicht wirklich zwei Löcher ins Steuerrohr bohren, um den Rahmen zurückzubiegen!? Schließlich ziehen wir mit fünf, sechs Leuten am erhitzen Rahmen, der stur verbogen bleibt. Also Unterrohr anschneiden- zurückbiegen. Oberkörperfreies Schweißen. Das Rad fährt, aber das Vertrauen in den Rahmen hält sich in Grenzen. Das Patientenfahrrad ist also bald um zwei Metallplatten schwerer, zwischen Ober-und Unter- und Steuerrohr geschweißt. Swarka ohne Augenschutz. Die Bleche sind sogar lackiert. Mal sehen- wie weit wir mit der 4-Dollar-Lösung kommen.

Weiterfahrt-endlich!! Weiße Farbtupfer im grün. Noch sind die weiten Felder in den Farben der Blätter, noch wird zwischen den Baumwollbüschen Unkraut gejätet. Inmitten der Felder leuchten die knalligen Kleider der Arbeiterinnen bunt. Bald wird halb Usbekistan unter der flauschig weißen Baumwolldecke verschwunden sein. In Usbekistan, in dem der Anbau von Baumwolle seit hunderten von Jahren Tradition hat, wollte die Sowjetunion ihren Traum vom weltweit führenden Bauwollproduzenten verwirklichen. Flüsse wurden umgeleitet, mehr und mehr Fläche des Landes in Baumwollplantagen umgewandelt. Baumwollanbau im sowjetischen Plan- so viel Monokultur, dass Bauern keine Lebensmittel mehr anbauten und von Nahrungsmittellieferungen des sowjetischen Bruders abhängig wurden. Heute ist das kleine Usbekistan drittgrößter Baumwollexporteur weltweit. Etwa 80 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche ist für Baumwolle reserviert. Immer noch lebt das Land vom weißen Gold- mit landwirtschaftlichen Kollateralschäden, Austrocknung der Flüsse und Verschwinden des Aralsees, Versalzung, Gesundheitsprobleme durch Pestizide. Und viele Hände müssen sich um die Baumwolle kümmern. Zur Erntezeit werden auch Lehrer und Ärzte auf die Felder geschickt.

 

Jetzt sind Sommerferien. Und Sommerferienzeit heißt auch- jede Menge zusätzlich arbeitende Kinderhände. Die Kinder schleppen hart, das störende Grünzeug wird in Säcken zur Straße geschafft. Der wankende, schwermütige Gang lässt das zu schleppende Gewicht erahnen. Das Grünzeug landet in einem Kraftakt-Schwung auf dem Eselkarren. Hier schuften ganze Familien gemeinsam. Wenn nicht auf den Baumwollfeldern, dann auf den Melonenplantagen oder zwischen Obstbäumen. Kinder sind nicht nur auf den Feldern, sondern auch als Straßenverkäufer eingesetzt. Sie hüten die Melonenverkaufsstände – die zwei Jungs schlafen hier auch nachts neben ihren Melonen. Im Stand stehen die beiden rostigen Betten, direkt an der großen Hauptstraße.

 

Die größten Knechte Usbekistans sind aber wahrscheinlich die unendlich vielen Esel. Wir staunen immer wieder aufs Neue, wie viel die kleinen Esel tragen oder ziehen müssen. Sie ziehen Karren mit riesigen Grasbergen, auf denen dann noch zwei bis drei Menschen sitzen. Sie tragen große Gestelle voll von Wassermelonen- wobei eine einzige der Riesenmelonen schon ordentlich was wiegt. Wenn sie nicht arbeiten- stehen die Tiere stundenlang am Feldesrand in der prallen Sonne rum, oft die ganze Zeit an ihren Karren gespannt. Zu allem Überfluss werden die felligen Lastenträger hier ordentlich geprügelt. Metallstangen schlagen mit teils erschreckender Brutalität auf die Körper ein- da schmerzt schon allein das Augenzeugendasein.

Halt Polizei-Kontrolle! Wie viele Kilometer seid ihr schon gefahren? Wir zeigen den Tacho. 6000 irgendwas. Anerkennendes Nicken: Sehr gut, weiterfahren!

 

Auch in Usbekistan werden wir unentwegt gegrüßt. Ein weit entfernter lauter Pfiff, dann suchen wir mit den Augen nach dem Ursprung des Pfiffes und sehen irgendwo hinter Blumen, in der Autowerkstatt oder auf einem der vielen schattigen Pausenpodeste inmitten der Felder Arme in der Luft hin- und herwedeln. Manchmal finden wir die Person, die uns zugepfiffen hat, nicht und winken ins Leere hinein. Tatsächlich werden wir so viel begrüßt, dass wir beginnen, jedes Hupen auf uns zu beziehen. Wir erwischen uns dabei, wie wir winken, weil irgendwer irgendwen anhupt.

 

„Откуда?“ -woher? Сколько километр - Wie viele Kilometer? Und сколько дней? - Wie viele Tage? Die täglichen Fragen. Wir sind in Gesellschaft. Machen Pause am Straßenrand und es dauert nicht lange- da bringt uns jemand gebackenes Brot vorbei oder hüpft mit der großen Wassermelone über die Mittelsperre auf unsere Straßenseite. Wir werden ran gepfiffen und sollen Weintrauben entgegennehmen. Es bleibt bei oberflächligen Smalltalks- die Fragen sind immer die gleichen. Die erste Antwort ist immer Germania. Menschen nehmen uns für Fotos in ihre Mitte. Die Goldzähne und Goldzahnreihen sind auf den Fotos jedoch verschwunden. Alle Nase lang fordern uns kleine und große radelnde Jungs zu Wettrennen heraus. Immer was los auf der holprigen Hauptstraße.

 

Der Mann mit dem Melonenbauch- es ist nahezu unmöglich für uns, sich diese langen, noch nie gehörten, usbekischen Namen zu merken- wenn wir sie nicht umgehend aufschreiben oder aufnehmen. Jedenfalls der Melonenbauchmann, der kurz vor Sonnenuntergang am Straßenrand auf eine Mitfahrgelegenheit wartet, winkt uns ran und führt uns in seinen Garten. Wollt ihr hier nicht übernachten? Da liegen Karten, ihr habt Melonen, Trauben und da hängt Brot. Das ist mein Bett und das das meiner Frau. Wir versinken in den hängemattenweichen Uralt-Metallfederbetten- die hier überall in den Feldern die Pausen- und Schlafplätze der Feldarbeiter sind. Jedes Umdrehen heute Nacht - ein lautes Quietschen mit dem gleichzeitigen Gefühl, gleich aus dem Bett zu fliegen.

Leckerer Duft von Brot liegt in der warmen Luft- hier in der Bäckerei in Samarkand hat jeder seine Aufgabe perfektioniert. Der Teigklumpenhersteller zerteilt den riesigen Brotteig in gleichgroße perfekt abgerundete Klumpen und deckt sie zu. Der Fladenformer bildet mittels Nudelholz und Kreisvorlage schön gleichmäßig runde Fladen mit dickem Rand. Mit perfekt eingeübter Technik verwandelt der Brotdekorateur den langweiligen Teigfladen in ein Kunstwerk. Er formt mit automatisierten Fingerbewegungen den Rand zu einem schönen Kranz. Anschließend setzt er den Brotstempel an- direkt in das Fladenzentrum- und drückt das individuelle Muster in den Teig. Der perfekt geformte Teig landet jetzt auf dem Warte-Tisch vorm Ofen, erhält vom Ofenmeister noch seine dünne Glanzschicht und seinen charakteristischen Schwarzkümmel-Fleck. Flatsch- der Fladen wird wie ein Kaugummi an die Innenwand des Ofens gedrückt- und hängt nun, gemeinsam mit vielen anderen, im Ofen, bis ihn der Bäcker mit seiner Blechschüsselstange vom Stein entfernt. Zwei fertige goldbraune Brote auf einmal kippt der Bäcker auf den Fertig-Platz nahe der Tür zum Verkaufsraum. Stolz präsentiert der Verkäufer die schönen Brote. Und noch warm landen sie in unseren Bäuchen. Samarkandbrot- die Menschen hier sind so stolz auf ihr Brot. Und überall im Land verwandeln die Bäcker in den kleinen alten und traditionellen Backstuben Teig in duftende, hübsch dekorierte Fladen- die man am besten ganz frisch direkt vor Ort verzehrt. Dann kann man auch gleich noch beteuern, wie lecker das „non“ ist.

Schon als wir reinfahren nach Samarkand stapeln sich die Fladen auf den Straßenverkaufstischchen. Sieht man in Usbekistan einen schönen alten Kinderwagen- dann ist da wohl nie ein Kind drin, sondern in der Regel frisch gebackenes Brot. Meist existiert sowieso nur noch das Untergestell des Wagens und das Körbchen ist längst einer Platte gewichen. Wer kein Kinderwagen hat besitzt den klassischen Marktkarren. Die kleineren, kompakteren Fladen glänzen in der Sonne. Die Brotverkäuferinnen sorgen für den perfekten Brotglanz- mit ihren buttergetränkten Lappen streichen sie in meditativen Kreisbewegungen fortlaufend über die Brote. Irgendwie muss sich ja das gleiche Brot vom Nachbarstand abheben.

 

Metallkarren klappern über den Markt- einige der Karren rumpeln schon prallgefüllt davon. Neben selbstgemachtem Joghurt, geflochtenen Körbchen, Brotstempeln oder Pflänzchen für die Selbstversorger, wird hier insbesondere viel Obst und Gemüse verkauft. Riesige Melonenhaufen verschiedenster Sorten schrumpfen über den Tag zusammen. In der Trockenabteilung werden Kichererbsen und Linsen umgefüllt und abgewogen. Das getrocknete Obst schmeckt besonders lecker- v.a. die dunklen Trauben und die vielen Aprikosen. Säcke voller Nüsse werden von unzähligen Tauben angeflogen, die wie im Schlaraffenland von Sack zu Sack tippeln und sich endlos vollstopfen. Die Verkäufer haben den Verscheuchekampf gegen die Vögel längst aufgegeben. Sie schauen zu, wie eine Erdnuss nach der anderen im Taubenschnabel verschwindet. Hier will man Taube sein.

 

Zwischen all dem geschäftigen Treiben sehen wir v.a. eins: riesige Geldstapel und erstaunlich flinke Finger. Mit dem Wertverlust des usbekischen SO’M wurden die zu zahlenden Summen immer höher, die Scheine blieben aber die gleichen, sodass Millionen mit Fünfhundertern und Tausendern bezahlt wurden. Mittlerweile wurden zwar 5000, 10.000 und 50.000- SOM-Noten eingeführt, aber die Usbeken hatten genug Zeit, sich zu den wohl flinksten Geldzählern zu entwickeln. Wie von selbst zählen sie- teils blind- in Windeseile dicke Geldscheinstapel durch, ohne dabei Gespräche beenden zu müssen. Wir kommen jedes mal ein wenig durcheinander bei den dicken Bündeln, die unser kleines Portemonnaie so sprengen, dass wir den Reisverschluss nicht mehr zubekommen.

 

Wir schlendern vom Markt- schlurfen vorbei an den Karren und den bunt gekleideten Frauen, alle mit Strümpfen in den Latschen und vorbei an den Männern mit ihren traditionellen Kopfbedeckungen. Wir spazieren zum großen Registan- dem zentralen Platz Samarkands- auch hier wieder beeindruckende islamische Baukunst. Frauen verpassen dem Rasen per Schere die perfekte Kante. Stände sind aufgebaut. Die Innenstadt wird herausgeputzt. Ein Festival findet statt am Wochenende- wir haben Glück- erklärt uns die Touristenpolizei. Die kleinen Miniplaybackshowkünstler haben schon einige Zuschauer vor sich versammelt. Ganz toll sei das mit dem Festival, alles wird besser mit der neuen Regierung, betont auch die Supermarktverkäuferin. Usbekistan öffnet sich für den Tourismus.

Ja, wir müssen uns schon noch jede dritte Nacht im Hotel registrieren lassen und die Zettelchen gut aufbewahren, um sie an der Grenze vorzeigen zu können. Aber gerade ist Couchsurfing aus der Illegalität in die Legalität geholt worden. Vielleicht sind die Zeiten langsam vorbei, in denen Einheimische verhört wurden nachdem sie Kontakt zu Ausländern hatten? Seit dem Tod vom 25 Jahre lang amtierenden und grausamen Präsidenten Karimov gibt es erste Anzeichen einer Öffnung des Landes. Aber noch heißt es abwarten, wie und ob sich das Land ändern wird. Ob neue Freiheiten nur für Touristen entstehen oder auch für die eigene Bevölkerung kommen werden. Ob Menschenrechte weiterhin mit Füßen getreten werden. Wir wollen das Grausamkeitsfass jetzt nicht aufmachen. Ganz verkneifen geht aber doch auch nicht.

 

Aber wir hören uns jetzt andere Geschichten an. Wir sind im Hostel in Samarkand und kommen in Tadschikistanlaune. Wir treffen mehr und mehr andere Radreisende oder Motorradfahrer, die uns schon Tolles vom Pamir erzählen oder, so wie wir, genau jetzt gespannt in Richtung Tadschikistan aufbrechen.