"Hello" Tadjikistan


Hörend mitradeln:


Die Nachricht vom Attentat des 29. Juli auf eine Gruppe Radreisende auf dem Pamir-Highway in Tadschikistan erschüttert uns. Vier Menschen starben, zwei wurden verletzt. Viele Menschen bleiben zurück in Trauer und schmerzhaftem Verlust, verursacht durch diese schreckliche Tat. Unser Beileid und unsere Anteilnahme gilt den Familien und Freunden der getöteten Radfahrer. Wir sind schockiert von der Nachricht, die uns noch im Iran erreicht. Sie hat uns und andere Radreisende getroffen und beschäftigt uns sehr. Dennoch, wir entscheiden uns, Tadschikistan zu bereisen, denn bislang wird die Gefährdungslage nicht als erhöht eingeschätzt. Die Terrorattacke, so schrecklich sie war, vergessen wir nicht. Ab dem Zeitpunkt, ab dem wir in Tadschikistan unterwegs sind, in dem uns die Menschen so herzlich willkommen heißen, lassen aber sämtliche ungute Gefühle von uns ab.

 

Die Reifen brummen freudig laut auf dem perfekten Asphalt. Das erste Mal seit Ewigkeiten hören wir einfach nur- hummelbrummend unter uns- unsere eigenen, vertrauten und lange nicht mehr so deutlich vernommen Fahrräder. Das einzige ‚Verkehrsgeräusch‘ verursachen wir selbst. Es ist angenehm ruhig um uns herum- aber nicht stumm. Vogelzwitschern, einzelne Insekten, weit entfernte Tier und Menschengeräusche – alles ist wieder klar geworden und nicht mehr im ewigen Verkehrsnebel. Erstmalig seit der Türkei fühlen wir, dass hier gerade irgendwie alles stimmt: kaum Autos, perfekte Straße, idyllische, menschen- und kindergefüllte Dörfer. Temperaturen unter 30 Grad- seit Monaten. Die ersten Meter Tadschikistans- kein typisch olles Grenzgebiet, sondern direkt das erste Dorf, entspannt kauende Kühe. Das ewig Flache ist aus der Landschaft verschwunden und die ersten kleinen Berge sind in der Ferne zu sehen. Die ersten Kilometer Tadschikistans- perfektes Radeln. In der Pause erwische ich mich dabei, wie ich flüstere, um die Ruhe nicht zu durchbrechen. Wir fühlen uns sofort richtig wohl in Tadschikistan.

 

Die Straße ist endlich geschrumpft und rechte und linke Straßenseite gehören wieder zusammen. Auf Häuserdächern und Mauern liegen Aprikosen und Apfelstücken zum Trocknen ausgebreitet. Vor den Grundstücken sind Teppiche aus leer gepulten, entkernten Sonnenblumenresten entstanden. Traurig welkende Blütenköpfe liegen daneben und müssen noch auseinandergenommen werden. Häuser und Mauern sind aus Lehm gebaut. Am Straßengraben läuft es dauerhaft aus den vielen Wasserhähnen. Das Geschirr wird entweder gleich direkt an der Straße abgewaschen oder Emaille-Eimer und gusseiserne Wasserkannen werden hier aufgefüllt, die dann an großen und kleinen Händen die kleine nichtasphaltierte Seitenstraße entlang bis nach Hause schaukeln. Frauen und Mädchen knien an den Wasserstellen auf ausgebreiteten Teppichen und schrubben sie mit Seife und Bürste ordentlich sauber. In den kleinen, baumgesäumten Seitenstraßen tummeln sich Kinderhorden.

Auf den Feldern strahlen die Sonnenblumen gelb. Mais kann bald geerntet werden. Die Bäume tragen Äpfel, Pfirsiche und Nektarinen, und die langen Reihen Wein strotzen nur so von vollen Reben. Vor den Dorfläden stehen palettenweise Einweckgläser, die in den kommenden Wochen gefüllt werden. Ernten, Einwecken, Vorräte anlegen- bis zum Winter ist noch einiges zu erledigen. Alle sind irgendwie beschäftigt. Diejenigen, deren Felder ein wenig größer sind, sind jetzt auf die Erntehelfer angewiesen. Sie kommen zu Sonnenaufgang mit dem Laster aufs Feld gekarrt. Mit gebeugtem Rücken und der Hacke in der Hand, schlagen die Arbeiter gleichmäßig in den harten Boden und lockern ihn auf. Sie legen die Kartoffeln frei, die dann per Hand eingesammelt werden. Heu wird mit der Forke aufgespießt. Die großen Grashaufen wanken Hoch über den Köpfen und balancieren bis zum Laster. Ganze Felder werden per Hand gesenst. Gullabad, die schon seit Tagen Äpfel schneidet und offensichtlich die Trockenobstverantwortliche der Familie ist, zeigt ihre Motorrad-alias Arbeitsschutzschuhe. Die trage sie immer zur Arbeit mit der Sichel. Überall sehen wir Menschen auf den Feldern. In den Tante-Emma- Läden kann man Schubkarren, Eimer, Sicheln und Hacken kaufen. Landwirtschaftliche Großgeräte sehen wir nirgends. Den ersten Morgen in Tadschikistan starten wir bereits mit ordentlich Ernte in den Satteltaschen. Kartoffeln von den Feldarbeitern, Äpfel von Gullabad und leckerste Pfirsiche und Nektarinen von Omeda. Omeda- die hat uns gerade noch ihr damals in der Schule gelerntes Gedicht auf Deutsch vorgetragen:

 

„Eins, zwei, drei, vier,

Pionieren heißen wir;

Rotes Halstuch tragen wir

und bekommen fünf und vier.“

Kinder stürmen an die Hauptstraße. Von Weitem schon sehen wir die kleinen Racker losrennen. „Hello! Hello!“ Sie geben ordentlich Gummi. Sie spurten Hügel hinauf und tippeln Abhänge irrsinnig schnell hinab. Bloß rechtzeitig an der Straße zum Einschlagen ankommen! Am Straßenrand wird sich positioniert- Hände werden ausgestreckt- zum abklatschen bereit. „Kak Bes!“- „Schlag ein!“. Wir kommen aus dem Einschlagen gar nicht mehr raus. Besonders die Kleinen drängeln sich so sehr, dass wir abbremsen und aufpassen müssen, dass wir nicht die ganze Gruppe umkarren. Schon die Kleinen rufen uns große „Hellos“ entgegen. Sie winken energisch oder rennen uns hinterher- die klatschenden Flipflopgeräusche der mitrennenden Kinder verfolgen uns durch ganze Dörfer.

Wenn man von Norden her in Richtung Duschanbe will, dann muss man durch den fünf Kilometer langen Anzobtunnel. Der hat den dramatischen Namen „Tunnel des Todes“ seit der Fahrbahnsanierung vor zwei Jahren sicher nicht mehr verdient, denn mittlerweile sind die Schlaglöcher und die regelmäßigen Überflutungen in der damals noch unbeleuchteten Röhre verschwunden. Dennoch gibt es weiterhin keine Entlüftungsanlage und so stehen wir, oben vor der Tunneleinfahrt angekommen, vor einem dunklen Loch, aus dem ewig anhaltende, schwarze, dichte Abgasschwaden nach oben steigen. Und ganz geheuer ist uns dieser enge, berühmt berüchtigte Tunnel nicht. Unsere Räder sind einige Minuten später neben einem großen Bett auf der Pritsche eines Transporters und wir hoffen bei jeder Bodenwelle, dass sie da auch bleiben. Wir atmen auf, als wir endlich Licht sehen.

Die Optik vor Duschanbe verändert sich merklich ins Negative. Hier, unweit der tadschikischen Hauptstadt scheint es einige Jahre des Baubooms gegeben zu haben, die bis heute anhalten. Gebaut werden hier insbesondere große Villen oder protzige Hotelanlagen, die meisten Bauvorhaben sind allerdings irgendwie ins Leere gelaufen und längst stillgelegte Baustellen. Fertiggestellte und genutzte Luxusvillen und Gelände sind nahezu gefängnisgleich und unüberwindbar abgezäunt. Das passt irgendwie nicht in das Bild des bitterarmen Tadschikistans, das zu den ärmsten Ländern weltweit gehört. Auch die auffällig vielen Luxuskarossen in Duschanbe selbst sprengen das Bild des ärmlichen Landes- und unterstreichen gleichzeitig die korrupte Vetternwirtschaftsregierung vom Dicken.

 

Der Dicke- das ist hier Präsident Rahmon, der früher mal Rahmonov hieß, und seit 1994 im Amt ist und natürlich auch seinen Kindern zu wichtigen Ämtern verholfen hat. Rahmon begegnet uns die kommenden Wochen auf großen Bildern. Er durchschreitet mit Vorliebe Blumenfelder, insbesondere Wiesen voll rotem Mohn oder roten Tulpen. Er zeigt sich arbeiternah mit Bauhelm auf dem Kopf oder vor einer Straßenbaumaschine. Ein außergewöhnliches Photoshop-Talent zaubert den Held Tadschikistans in atemberaubend schöne Berglandschaften und vor die schönsten Hintergründe. Unter Präsident Rahmon sind übrigens auch so komische Regeln eingeführt worden: mit einem dreckigen Auto fahren- in Tadschikistan ein Verstoß gegen das Gesetz.

 

In Duschanbe, das noch nicht allzu lang Hauptstadtgeschichte schreibt, davon fast 30 Jahre als Stalinabad, kommt nicht gerade Weltstadtfeeling auf. Ein paar Parks, die Rudaki-Allee als zentraler Prachtboulevard, einige Regierungsgebäude, Statuen und ein echtes Highlight. Duschanbe war immerhin drei Jahre lang ganz vorne im Kampf um den weltweit höchsten Fahnenmast. Wir sind nicht zur Stadterkundung hier, sondern um uns auf den Pamir vorzubereiten. Und in der kleinen Seitenstraße von unserem Warmshowers-Gastgeber Bernd fehlt von Großstadt jede Spur. Hier übernehmen die Kinder die Sackgasse- die Straßeneinfahrt ist gesäumt von Gemüse- und Obstverkäufern. Wir besorgen uns in Duschanbe die Genehmigung, die man benötigt, um durch die autonome Region Gorno-Badachschan im Osten Tadschikistans reisen zu dürfen. Die Provinz, die zwar fast die Hälfte der Fläche des Landes einnimmt, in der aber nur etwa 3 Prozent der Bevölkerung lebt.

Wir sind auf der Nordroute zwischen Duschanbe und Kalai-Khum unterwegs, auf der es uns schon ordentlich durchschüttelt. Morgens ist die Luft noch kalt im Flusstal. In den Dörfern riecht es nach Feuer. Teekessel werden aufgesetzt, gekocht wird auf den Flammen. In der Morgenstille ist es noch stiller als sowieso schon. Nur vereinzelt hören wir irgendwo einen Hahn krähen, die ersten Kühe machen auf sich aufmerksam. Eselschreie sind eindrücklich und laut über weite Entfernungen zu hören, für uns ein bald tägliches und dennoch ein besonderes Geräusch. Die sandige Dorfstraße ist immer wieder von kleinen, leise plätschernden Bächen durchzogen. Zäune aus geflochtenen Weidenruten schlängeln sich parallel zur Straße und begrenzen die Grundstücke. Ziegen streifen vor den Holzzäunen die Straße entlang. Außerhalb der Dörfer suchen sie an bedrohlich steilen Abhängen weit über uns nach Nahrung. An der Stelle, in der der kleine Nebenfluss die Straße durchspült, halten die Esel zum trinken an. Neben oder unter uns rauscht der Fluss, mal laut mal leise, je nachdem, wie nahe wir und die Straße an ihn herankommen.

Die Kinder sehen heute, am 1. September, besonders schick aus- die Sommerferien müssen zu Ende sein. In kleinen Grüppchen laufen sie die Straße entlang. Die aus den kleinen Dörfern müssen extra früh loslaufen, um pünktlich an der Schule anzukommen. Richtig herausgeputzt sind sie in ihren zu Schuljahresbeginn sicher besonders sauberen Schuluniformen. Kleine und große Jungs laufen in schnieken, dunkelblauen Anzügen mit Bügelfaltenhose und sehen aus, als hätten sie heute Konfirmation. Die Mädchen tragen Röckchen und weiße Puschel in den Haaren- Puschel in allen Größen- oben auf dem Kopf einen oder an den Zopfenden mehrere. Ab 8 Uhr bis zum Nachmittag winken uns jetzt nur noch die ganz Kleinen, die noch nicht in die Schule gehen, zu. Mancherorts scheint die Schule zu klein für die vielen Kinder zu sein. Da verlassen die Großen am frühen Nachmitta g die Schule und treten den Heimweg an, während die Jüngeren sich in die Gegenrichtung bewegen und heute den Nachmittag mit Lernen verbringen werden. Dann ist für uns Hauptgrüßzeit des Tages, dann landen wir im nicht endenden, ewig gleichen Fragestrudel aus What is your name? How are you?

 

Es ist ein komisches Bild, wie die Kinder wie kleine gebügelt gestriegelte Büroangestellte über die kleinen Feldwege, an Kühen und Eseln vorbei, nach Hause laufen. So sauber und frisch gebügelt wie die Uniformen immer aussehen, landet die Kleidung sicherlich zu Hause direkt im Schrank und wird gegen die Alltagsklamotte ausgetauscht.

Heute wird geklettert, 6 Stunden bergauf – auf den Chaburabot Pass im Westpamir mit 3252m. Also brauchen wir ordentlich Frühstück. Im kleinen Laden gibt es kein Brot zu kaufen, denn Brot bäckt hier jeder Haushalt selbst. Der Verkäufer schickt den kleinen Jungen schnell nach Hause, er soll Fladenbrot für uns besorgen. Auch Obst gibt es nicht zu kaufen, denn alle haben genügend Obstbäume auf ihren Grundstücken zu stehen. Also schickt uns der Ladenbesitzer zu seinen vollen und schwertragenden Apfelbäumen, die sich unter der Last verbiegen. Wir pflücken uns die reifroten Äpfel direkt vom Ast. Natürlich will er nur die wenigen Somoni für die Getränke annehmen, besteht darauf, uns Brot und Äpfel zu schenken und die Nachbarskinder kommen, um uns noch mehr Äpfel mit auf den Weg zu geben. Gastfreundschaft und Freude am Schenken, Interesse am Fremden- das wird auch in Tadschikistan großgeschrieben. Auch hier begegnen uns die Menschen mit Offenheit und mit breitem Lächeln, niemals mit Misstrauen.

 

Die Straße zackt langsam immer höher, wir sind nur unwesentlich schneller als der Eselreiter, der uns einholt, sobald wir einen Trinkstopp einlegen. Die Straße ist hier eher ein Weg, der sich durch die weiten Weideflächen schlängelt. Kaum ein Auto nimmt den beschwerlichen Weg über die nördliche Route. Neben der Straße sind die Menschen mit der Heuernte beschäftigt. Sie binden das Gras zu kleineren handlichen Bündeln zusammen und stapeln sie auf ihren Häuserdächern, sodass einige der Lehmhäuser unter dicken Heuhaufen verschwinden. Andere haben einen richtigen, offenen Heuboden, den sie jetzt zum Winter voll ausstopfen. Der Ausblick wird immer beeindruckender, die Luft ein wenig dünner und wir blicken auf entfernte, schneebedeckte Berge. Eine Ziegen- Schafsherde treibt über kleine Büschelchen hinweg und wirbelt einen wohlig duftenden Bergkräutergeruch in die Luft.

 

Auf der anderen Bergseite sieht die Landschaft schlagartig anders aus, die weiten Weideflächen sind rauen Felsen und Schluchten gewichen, graue und schwarze Steinwände ragen neben dem blauen Fluss empor. Geröll, Schutt und abgestürzte Steine wurden von der Straße geräumt, einen geeigneten Zeltplatz sehen wir hier nicht. Aufgrund der grottig schlechten Straße ist aus der erhofften rasanten 30-km Abfahrt ein konzentriertes Schlängeln, Ausweichen und Abbremsen geworden, das mit der Dämmerung immer anstrengender wird, bis wir schließlich in völliger Dunkelheit und unter unglaublich schönem Sternenhimmel gen Tal rollen. Arnes Bremsen quietschen laut und durchgängig, die Felgen werden glühend heiß.

Im Hellen fahren wir am nächsten Morgen die restliche Abfahrt hinunter in Richtung Kalai Khum- „Stopp“ gebieten uns zwei Mädchen mit einem unterdrückten Flüsterruf, bevor wir in die Menschenmenge reinrollen können. Wir müssen am Straßenrand warten, um nicht die Beerdigung zu stören. Auf der Straße reihen sich die Männer auf und bald setzt sich der Beerdigungszug in Bewegung. Vier junge Männer spurten voraus, Kinder und Frauen ziehen sich diskret zurück und wir tun so, als ob wir nicht da wären, während der Sarg an uns vorbei die Straße hinaufgetragen wird, der männliche Trauerzug hinterher.

 

In Kalai Khum mündet der blau-türkise Obikhumbou-Quellfluss in den elefantengrauen, reißenden Pjandsch, den Grenzfluss zu Afghanistan. Beeindruckend hohe Bergwände ziehen sich hier auf beiden Länderseiten steil hinauf. Zwischen den mächtigen Bergmassiven staut sich die Mittagshitze. Auf beiden Seiten des Flusses schlängelt sich je eine schmale, sandige Straße zwischen Felswand und Fluss, teils ist der Abhang gefährlich steil und hoch. Wir fahren in Richtung Khorugh auf tadschikischer Seite- unsere Blicke streifen voller Neugierde über den Fluss rüber nach Afghanistan. Dort, wo die steile Felswand zurückgetreten ist und ein kleiner Fluss den Abhang hinabstürzt, bis er unten Teil der grau-schlammigen lauten Wassermasse wird, zieht sich ein grüner Pflanzenstreifen das lebensfeindliche Bergmassiv hinunter. An der Wasserader wächst es. Und an der Mündung unten, entstanden kleine Siedlungen. Sowohl auf tadschikischer als auch afghanischer Seite sind so vereinzelt und kleckerweise kleine Dörfchen am Flussufer. Strommasten sind nur hier bei uns zu sehen. Ab und zu allerdings wird der Strom nach drüben geleitet, finanziert mit ausländischen Entwicklungsgeldern, wie die kleinen Schilder an der Strombrücke mitteilen. Während hier meist vollbepackte Jeeps mit vielen Menschen und ordentlich Dachgepäck die Piste entlangschaukeln, wirbeln rechts des Flusses lediglich vereinzelt Mopeds den Straßenstaub auf. Frauen laufen die schmale Straße entlang, in große, schwarze, wehende Schleier gehüllt. Kinder baden nackig unten im grauen Fluss, große Teppiche liegen auf den Felsen des Ufers zum Trocknen ausgebreitet.

 

Die Dörfer drüben fügen sich unauffällig in die Landschaft ein, wir sehen Lehmhäuser und ordentlich gepflegte kleine Äckerchen. Die Felder sind von Steinmauern umgeben, jedes Fleckchen Land wird genutzt, da, wo irgendwie Wasser hingelangt. Wir sehen Felder in schwindelerregender Höhe, 300, 400 Meter über dem Fluss wurden kleine Äcker angelegt. Schmale und eindrucksvoll steile Pfade verbinden die Felder mit dem Dorf. Die vereinzelten, geradezu an der Felswand klebenden Häuser sind insbesondere im Dunkeln toll anzusehen. Dann sind aus den Häusern flackernde Lichtquellen geworden, die Felsenwand im Hintergrund. Sie könnten fast als besonders nahe Sterne durchgehen, denn es ist, als würden sie oben in der Luft schweben. Der richtige Sternenhimmel zwischen den beiden Felswänden, ist beeindruckend heute Nacht. Die Lampe eines Fahrzeuges erzeugt riesige Lichtkegel und Schatten an der Steinwand gegenüber. Hier von unserem Felsplateau aus, schauen wir rüber nach Afghanistan und hören seit langem mal wieder eine Moschee.

Es gibt Frühstück- heute gesponsert vom Militär. Wir ziehen die Aufmerksamkeit der Truppenteile auf uns, die jetzt beginnen, sich gegenseitig zu übertrumpfen. Der eine beschenkt uns mit Brot, der andere mit Quark, der nächste mit Tomaten. Hinzu kommen Gurken, Paprika, Trockenfrüchte. Und wir landen auf den Selfies der Grenzsoldaten. „Welcome to Russia“, begrüßt uns der Uniformierte Truppenführer aus Russland. Russland trägt immer noch einen wichtigen Teil zur Grenzsicherung bei. Der Truppentruck heult laut auf, als er an uns vorbeizieht.

 

Die Enge auf der Straße hat aber auch etwas Beklemmendes. Manchmal kann man weder links noch rechts auch nur einen Fuß neben die Straße setzen. Und es gibt nur die zwei Richtungen: vorwärts oder rückwärts. Ein Steinschlag oder ein kaputtes Auto an der falschen Stelle und hier geht nichts mehr. Wir staunen, durch welche Passagen die Brummifahrer hier sogar Lastwagen mit doppeltem Anhänger quetschen. Zudem ist die Straße wirklich schlecht und fährt sich schwer. Straßenarbeiter laufen im Niemandsland mit Schippe umher, um die gröbsten Schlaglöcher mit Sand aufzufüllen. Manche von ihnen scheinen selbst am Effekt ihrer mühseligen Arbeit zu zweifeln und legen sich zu ausgiebigen Mittagspausen in ein schattiges Plätzchen an der einzigen Quelle weit und breit.

 

So beeindruckend die mächtig steilen Felswände auch sind, wir fühlen uns wohler, als das Tal des Pandschs breiter und grüner und der Fluss selbst ruhiger wird. Wir zweigen nicht ins wohl wunderschöne Bartangtal ab, aber picknicken hier mit zwei deutschen Motorradfahren hinterm Checkpoint. Wir treffen zwei radelnde Basken mit Hund und später den rasenden Radfahrer Jimmy aus Australien. Ein Jeep hält an: die beiden Australier steigen aus und drücken uns je ein Schokoriegel in die Hand. Eine ganze Tüte davon haben sie für Radfahrer dabei in ihrem kleinen Kühlschrank. Der Pamir zieht Reisende aus der ganzen Welt an. Leider kommen uns alle entgegen und die Bekanntschaften sind nur von kurzer Dauer.

Die alte kleine Oma drückt mir schon Küsschen ins Gesicht, da haben wir noch gar nicht Raja gefragt, ob wir das Zelt in ihrem traumhaft schönen Garten aufstellen können. Wir waschen uns im kleinen Bach, der durch das Grundstück fließt. Auch hier hängt ein frisch geschrubbter Teppich zum Trocknen. Das kleine Kalb, das im Garten angepflockt ist, nimmt Kontakt zur weit entfernten Mutterkuh auf und beendet sein lautes Muhen erst, als seine Mama zurück durch den Garten und in den Stall geführt wird. Dieser Garten ist für uns ein unglaublich schöner Ort. Die Holzleiter lehnt am großen Felsen und reicht bis in die Krone des vollen Birnenbaums hinein. Überall wächst Gemüse, so leckeres Gemüse, wie man es in keinem Großstadtsupermarkt kaufen kann, sagt Raja. Das wird sie auch vermissen, in Russland. Sie will mit ihrem kleinen Sohn ihrem Mann hinterherziehen, der in Moskau ist, um Geld zu verdienen. Hier in Tadschikistan gebe es keine Arbeit.

 

Auch Anjas Familie ist geprägt von Trennung. Sie schließt ihren kleinen Laden kurz, in dem wir eigentlich gerade Essen einkaufen wollten, um uns zu sich nach Hause zu Instantkaffee und Frühstück einzuladen. Ihre Enkelkinder toben um uns herum, alle noch im Vorschulalter. Sie leben hier allein mit Oma, während die Eltern in Moskau Geld verdienen. Auch Anjas Nachbarin zieht ihre Enkelkinder selbst auf. Mütter, die zurückkehren und von ihren eigenen Kindern nicht mehr erkannt werden. Das leidvolle Schicksal von Trennung teilen sich viele Tadschiken. Geschätzt die Hälfte der Wirtschaftsleistung Tadschikistans entstammt den Rücküberweisungen der in Russland arbeitenden Tadschiken.

 

Auch bei Davlat, bei der wir in Khorugh unterkommen, reicht das Geld, dass sie als Russischlehrerin verdient, nicht aus. Zumal sie ihren Mann mitfinanziert, der jeden Tag in Schnaps investiert. Gestern ist der beim Angeln betrunken in den Fluss gefallen. Sie lacht über ihren Mann, mit dem sie damals verheiratet wurde und der ihr heute auf der Tasche liegt. Das neue Gästehaus aber bringt der Familie gutes Geld ein. Und Davlat, eine wirklich positive und energiegefüllte Frau mag es, mit ihren Touristen zu plaudern und mit ihnen englisch zu üben. Sie ist stolz auf ihre Söhne, die an Austauschprogrammen im Ausland teilgenommen haben. Der eine ist sogar Pilot. Und sie ist glücklich, dass ihre Söhne was aus sich machen und nicht, so wie viele junge Menschen in der Provinzhauptstadt Khorough, den Drogen verfallen sind.

In Khorugh gibt es nicht allzu viel außer trubeligem Marschrutka-Verkehr in der Nähe des Rumpelmarktes. Für uns gibt es jedoch gleich mehrere Gründe, einige Tage in Khorugh zu bleiben: Grippe, Durchfall und Erbrechen. Jetzt sind wir krank in Tadschikistan, wovon hier anscheinend kein Reisender verschont bleibt.