Tadjikistan II - Pamirsky Trakt


Hörend mitradeln:


Obwohl es erst Mitte September ist, kratzt Arne jetzt eine dünne Eisschicht von unserem Zelt herunter. Die Wasserflaschen sind gefroren, auch die Milch, die uns der Kuhhirte Farid gestern Abend noch an unser Zelt gebracht hat, ist nun vereist. Es ist kalt hier oben auf 3000 Höhenmetern und wir müssen den Kocher anschmeißen, brauchen warme Milch im Bauch, bevor die Sonne die Kälte vertreibt. Hier im Ghunt-Tal beginnt der Tag früh aber ohne Hektik. Die Kühe, die gestern, als wir unser Zelt aufgebaut haben, nach Hause geholt wurden, werden jetzt wieder auf die Weide geführt. Verschiedene Menschen pflocken ihre Milchtiere an, die hier den ganzen Tag auf dieser piksenden Ebene stehen werden. Die Menschen beginnen mit dem Sensen- immer mal hält jemand inne. Und während die ersten Sonnenstrahlen den Reif von den Sanddornbeeren holen, bauen wir unser Lager ab- drücken die Luft aus den Isomatten und packen das Zelt zusammen.

 

Wir sind auf dem Pamir Highway unterwegs- dem pamirskii trakt, das sowjetische Straßenprojekt der dreißiger Jahre. Die Sowjetspuren sind auch hier noch zu sehen- auch in den Straßenüberdachungen hinter Khoroug- die vor Steinschlägen schützen sollen. Der erste Laster kam damals vom kirgisischen Osch bis nach Khoroug gefahren. Und mit der Straße hat sich die Hochebene des Ostpamirs verändert- Siedlungen sind zu größeren Orten geworden. Die Laster fahren heute noch über den halbwegs gut asphaltierten Weg, über mehrere Pässe in besonderen Höhen. Aber der Verkehr beschränkt sich auf wenige Fahrzeuge- fast immer haben wir den Pamirhighway für uns. Wir steigen stetig bergauf. Schon am Checkpoint wurden wir gewarnt- es sei schon verdammt kalt jetzt da oben in Murgob.

 

Wir radeln bergauf am türkisen Ghunt entlang, die weißen Schneewipfel im Hintergrund, die grauen Felsen, der tiefblaue Himmel und die ersten gelben Blätter an den Pappeln. Hier ist noch keine Hochgebirgswüste. Über den Fluss führen kleine Stöckerbrücken, die doch weitmaschiger sind, als von weitem gedacht und bedrohlich schaukeln.

 

Die kleinen Dörfer sehen anders aus. Zu den schönen Pamirhäusern gesellen sich umfunktionierte und umgebaute alte LKW-Container. In fast 90 Jahren Fernstraßenleben scheint hier einiges an Kram und Krempel angekarrt worden zu sein. Metallfässer und Tonnen sind heute verrostete Grundstücksmauern, Autotüren sind zu Gartentoren geworden. Stacheldraht gesellt sich zu den Holzzäunen. Pragmatisch praktisch neben romantisch idyllisch.

Das heiße Wasser ist wohltuend am Körper, der Geruch von faulen Eiern in der Nase eher weniger. Jeder von uns taucht ein das Becken des sowjetischen Sanatoriums in Jelondy, jeder in sein eigenes. Sowohl das der Männer als auch das der Frauen hat seine beste Zeit längst hinter sich. Die fülligen Frauen sitzen am Beckenrand gerade mal bis zum Bauchnabel im Wasser. Ich tauche langsam die Zehen ein und brauche ein wenig, bis ich neben ihnen sitze. Wie in eine viel zu heiße Badewanne einsteigen. Ein Finger tippt auf meine Schulter. Ein paar Schwimmzüge sollte ich ausprobieren bis dahin, wo das Wasser ganz heiß ins Becken schießt. Die Bewegung brennt auf der Haut. Drüben im Männerbecken wird auch Arne dazu aufgefordert. Außerdem soll er mal die Hand unter die heiße Quelle halten. Sind das die Quellen-Mutproben, durch die jeder mal durchmuss? Die beiden Frauen, die schon vor mir drinnen waren, denken noch nicht mal ans rauskommen, als ich schon abgetrocknet unter der Bettdecke liege. Wir radeln raus aus dem ziemlich schrottig wilden Jelondy, den fauligen Schwefelgeruch noch in der Nase.

 

Von den vielen Lebensmitteln, die draußen auf den Werbeplakaten angekündigt werden, fehlt in den Läden des Pamirgebirges in der Regel jede Spur. Kekse, Nudeln. Andere Kekse. Bonbons. Reis. Vielleicht noch Knoblauch. Frisches Gemüse und Obst gibt es nicht zu kaufen. Brot auch nicht. Das kauft man jetzt bei Privatpersonen, wenn man Pech hat, wurde aber das letzte Mal vor sechs Tagen gebacken.

Der Weg ist steil, von Wiesen und Bäumen keine Spur mehr. Ein Murmeltier flitzt davon und wir sind eingemurmelt. Das Atmen wird schwerer, je höher wir kommen. Hier oben, nach drei Tagen kontinuierlichem Anstieg, landen wir endlich in dieser unwirklichen Landschaft auf 4200 Metern Höhe. Bis Kirgistan bleiben wir ab hier die ganze Zeit auf dem Hochplateau des Ostpamirs. Hier in dieser grau braunen Hochgebirgswüste wohnen tatsächlich Menschen auf Höfen, die gut mal 30km voneinander entfernt liegen. Der Geruch der stinkenden Ziegen weht mit dem Rückenwind mit. Tatsächlich sehen wir sonst außer der ewig mitreisenden Strommastenschlange fast nichts mehr außer karger Landschaft und weißer Bergspitzen. Die Straße ist steinig holprig, die Laster werden ohrenbetäubend laut durchgeschüttelt.

 

Diese Weite ist beeindruckend. Die Farben von Sand und Fels wechseln, der Himmel ist dunkelblau klar und wir dem Himmel hier so nahe. Wir können unseren Weg kilometerweit sehen, wie er sich durch die lange breite Ebene schlängelt. Salzseen sind kraftvolle Farbflecken inmitten der trockengrauen Umgebung. Es ist bitter kalt, sobald die Sonne weg ist. Hier oben sind wir von 18 bis 7 Uhr im Zelt, die Schlafsäcke bis zur Nase zugezogen. Wenn die Sonne nicht draußen ist, wollen wir es auch nicht sein.

Ich wache nachts auf und muss gierig nach Luft schnappen. Nur ein leichter Kopfschmerz, leicht schwindelig. Mein Körper braucht Zeit, sich an die Höhe zu gewöhnen. Und ich muss mich jetzt ein wenig beruhigen, um den Anflug von Panik wieder abschwellen zu lassen. Wir schieben unsere Fahrräder den kleinen, steilen Abhang zur Straße hinauf und sind direkt außer Puste. Solange wir aber entspannt radeln, ist die Höhe kein Problem für uns und das Radfahren überhaupt nicht anstrengend. Heute aber müssen wir mit unseren neuen Radfreunden Jury und Didi mithalten.

 

Yaks stehen hier auf den Hochweiden um Alichor. Sie sind weder angebunden noch eingezäunt, sondern ziehen sogar allein über die Ebene. Sie können hier unter den extremen Bedingungen leben und sind wichtige Lebensgrundlage für die Menschen im Pamirgebirge. Sie geben Fleisch, Fell und Milch, aus der die Pamiri Joghurt herstellen oder Kurut, eine steinharte, streng schmeckende weiße Masse, die den ganzen Winter hält. Hier auf der Hochebene sieht man allerdings nirgends Heu auf den Häusern. Die Hirten müssen auch im Winter mit ihren Tieren raus, an Orte, an denen der Wind die Stellen schneefrei gepustet hat.

In Murghob besuche ich die ekelhafteste öffentliche Toilette. Das Loch ist nicht wie sonst unendlich tief und zur Seite hin abgeschlossen. Schon von außen riecht und sieht man die Exkremente der Murgoberinnen. Ein großes, senkrecht aufgestelltes Fass aus Metall. Darin gleich zwei Löcher nebeneinander- keine Trennwand dazwischen. Die Scham innerhalb des gleichen Geschlechtes ist gering – hier verrichtet man auch gleichzeitig nebeneinander Größeres. Schnell wieder raus hier. In Murghob gibt es etwa 5 Bäume und eine Leninstatue, einige Gästehäuser und irgendwelche öffentlichen Gebäude, von denen uns seit langem mal wieder Rahmon entgegenwinkt. Der Markt- auf dem wir endlich mehr Lebensmittel bekommen- besteht aus einer doppelten Containerreihe. In der Steinjurte gibt es heute Jak zu kaufen, das kündigt der große schwarze fellige Kopf in der Jurtenmitte an. Auf den kreisförmig aufgebauten Tischen drumherum liegen sortiert, die Einzelteile des riesigen zerlegten Tieres. Alles kann gekauft werden. Wir laufen mehrfach am Brotstand vorbei- finden ihn erstmal nicht. Denn der Brotstand ist ein großer Stoffbeutel auf einem Tisch- zwei Frauen sitzen davor.

 

Die Gesichter sehen anders aus hier oben. Die Haut ist sonnengezeichnet und wettergegerbt- die Menschen extremen Wetterbedingungen ausgesetzt. Die Jahresdurchschnittstemperatur liegt hier bei Minus 3 Grad- die Unterschiede zwischen dem eiseskalten Winter von bis zu Minus 50 Grad und dem bis zu 40Grad Warmen Hochgebirgssommer sind riesig. Die Luft hier ist trocken und der Wind bläst oft stark. Nicht nur wir müssen unsere Gesichter vor der extremen Sonne schützen. Manche Menschen sehen aus wie Räuber- nur noch ein Schlitz oder zwei Löcher für die Augen in der Sturmmaske.

Hinter Murgob steigt es wieder an. Die Steigung ist moderat, aber die Luft dünn. Wir schnaufen schwer. Jedes Lachen ist jetzt anstrengend. Wir klettern auf den Ak-Baital-Pass, den mit 4655m höchsten Punkt auf dem pamirskii trakt.  Bis zum Karakulsee, dem größten, von Gletscherwasser gespeisten See Tadschikistans auf etwa 4000 m Höhe, geht es jetzt nur noch bergab. Und wir freuen uns auf die Pause in Karakul, wo wir morgen Geburtstag feiern wollen.

Wir beginnen Arnes 30 Geburtstag in der kleinen Cafeteria. Hier können wir einen Instantkaffee trinken gehen. Wir genießen die Morgensonne und die Fahrradpause. Kinderstimmen und Geräusche im Hintergrund. Hinter der Mauer schwingt das Klettergerüst gefährlich hin und her. Wir spazieren am See entlang. Und der klingt wie ein Meer. Jetzt ist das salzige Wasser tieftürkis. Das kleine Mädchen ist auf ihrem Fahrrad zum See runtergefahren und lässt Steine über die weite Wasserfläche hüpfen. Der Uferstreifen ist von einer weißen Salzkruste überzogen. Die Gegend um den See ist trocken und lediglich Wüstenpflanzen können hier überleben. Dennoch suchen Esel, Ziegen und Schafe hier nach Essbarem. Der zauberhaft glitzernde See ist von schneebedeckten Bergen umringt. Die eigenen Schritte knirschen laut auf dem sandigen Boden und den Kieseln unter uns. Dem Ort Karakul merken wir an, wie weit entfernt er ist. Es gibt lediglich eine richtige Straße, den Pamirhighway. Jetzt, da die Sonne strahlt, blenden die weißgestrichenen Häuser unsere Augen. Knallblaue Türen und Fenster im Weiß- die Häuserfarben finden sich im Himmel, im Wasser und den Schneewipfeln wider. Vor den Häusern stehen Eimer mit getrocknetem Viehdung und Wüstensträuchern- das einzige Heizmaterial hier oben. Große Vorräte der knorrigen Teresken werden auf den Flachdächern gestapelt. Der Handwagen parkt am Hauseingang und wartet auf seinen Einsatz- eine große Metallkanne steht darauf. Wenn der Wasservorrat aufgebraucht ist, kommt der Wagen wieder ins Rollen. Der wohl belebteste Ort im Dorf ist der Brunnen. Hier wird gepumpt- die Karre mit der Kanne darauf läuft voll. Einige baumeln Blecheimer an das Wasserrohr. Jeder muss mal Wasser holen.

 

Die zwei kleinen schwer auffindbaren Dorfläden mit wenig Angebot können wir von außen nicht erkennen. Kein Schild nichts. Einfach ein unauffälliges Grundstück. Hier gibt es auch Winterkleidung zu holen und natürlich die weißen hohen kirgisischen Ak-Kalpak-Hüte, die die Männer hier tragen. Auf jungen und alten Köpfen wandern die bergförmigen Hüte durch den Ort. Strom gibt es hier nicht- obwohl es hier doch Strommasten gibt. Aber abends sind die Fenster der Häuser dunkel. Nur die Gästehäuser bekommen für kurze Zeit den Dieselgenerator angeschmissen. Einige wenige haben Solaranlagen auf ihren Dächern. Auch der Sendemast ist solar-und windenergiebetrieben.

 

Mohammad hat ordentlich eingefeuert unterm großen Wassertopf im kleinen Duschhäuschen. Mit der Schöpfkelle mischen wir uns aus dem Koch- und Kaltwasser die richtige Temperatur zusammen. Für uns ist das urig romantisch hier. Im tiefen Gebirgswinter allerdings, mit Schnee von Oktober bis März, sieht das sicher anders aus. Dann möchte man hier nicht zum hundert Meter entfernten Plumpsklo müssen, in das es von oben hereinschneit. Jetzt schon pfeift der Wind hier eisigkalt am nackten Hintern. Auch die dünnen Fenster und Türen können der bitteren Winterkälte nicht trotzen. Der kleine Bollerofen im Zimmer gibt schnelle, aber nur kurz anhaltende Wärme. Ohne Sonne wird dieser Ort verdammt schnell kalt und ungemütlich- im kräftigen Abendwind quietschen Metalltore und knallen auf und zu. Hunde verteidigen nachts ihr Revier. Bald kommen keine Gäste mehr her- Mohammad muss dann mit den Ziegen raus- die kommen jetzt von der Sommerweide zurück in den Ort.

Bis zur kirgisischen Grenze ist es nicht mehr weit. Kurz hinter Karakul radeln wir an einem der schönen kirgisischen Friedhöfe vorbei, mit dem heute dunkelblauen See im Hintergrund. Zu unserer Rechten begleitet uns der ewig lange alte Stacheldrahtzaun- die ehemalige Grenzsicherung der Sowjetunion zu China- kilometerlang, absurd wirkend hier im Niemandsland. Hinterm Zaun leuchten die Berge schon kommunistisch rot. Pik Lenin, Moskau, Marx und Pik Engels- auch auf den Höchsten Bergspitzen des Pamirs herrscht noch Kommunismus unterm Schnee. Sand stürmt uns in die Augen. In das rot, grau und braun der trockenen Berge mischt sich bald der weiße Neuschnee- der heute Nacht auf dem Kyzyl-Art-Pass gefallen ist, dem Grenzpass zu Kirgisistan. „Bye bye Tadschikistan“ rufen uns die Grenzsoldaten hinterher- tatsächlich sind wir ein wenig traurig, als wir dieses tolle Reiseland verlassen.