Welcome to Iran!


Hörend mitradeln:


 8.April.1397- Der Einreisestempel ist drin. Die Ärmel und Beine sind lang. Das Kopftuch sitzt. Wir rollen endlich in den Iran, auf den wir uns seit Tagen freuen.

 

Die große Straße in Richtung Teheran ist voll. Das iranische Straßennetz enttäuscht uns. Kleinere Straßen enden im Nirgendwo. Wir müssen die Hauptstraße nehmen. Die nehmen aber auch alle anderen. Unentwegt hupt es, winkt es aus den Autofenstern. Autos fahren auf gleicher Höhe mit uns mit. Die Leute fragen nach unserer Herkunft und heißen uns im Iran herzlich willkommen. Fahrer stoppen und die ganze Familie steigt aus, um Fotos mit uns zu machen. Essen, Obst, Süßigkeiten und kalte Getränke werden uns Radtouristen in die Hand gedrückt. Nur durch die vielen freundlichen Menschen wird dieser Verkehr irgendwie erträglich.

 

Aber wir gehen im Straßenlärm unter. Wir verschwinden in den schwarzen Abgaswolken der stilvollen Uralt-LKWs, die schon vor unserer Zeit Bekanntschaft mit dem Asphalt gemacht haben. Die Busse fahren mit offener Heckklappe, um den Motor zu kühlen. Museumsreife Brummis haben vorläufig ausgebrummt. Geplatzte Reifen, Überhitzte Karren, kaputte Teile. Jeder Fahrer ist gleichzeitig Automechaniker. Am Straßenrand wird repariert und geschraubt.

Irans beliebtester Transporter braust über den Geschwindigkeitshuckel. Die blaue Karre ist je nach Belieben erweiter- und veränderbar. Einfache Pritsche, hoher Gitterkasten, große geschlossene Metallkiste, Aufsatz für ein zweites Stockwerk. Ich packe meinen Zamyad und nehme mit: Schafe, Schafsfelle, Melonen, Ziegen, eine Kuh, Pappe, Heu, Holzbalken, zwei Menschen, ein Pferd, ewig lange Stahlrohre, Schrott, Ziegelsteine, die eisschleckende Tochter, Büsche, Zwiebeln. Die Zamyad-Fahrer sind landesweit gefürchtet: Payam erklärt: „Nisan gowi: A car, that is not a car, it's a cow. Doesn’t care about anything.“

Die Sonne knallt. Von Wolken am Himmel seit Tagen keine Spur. Klar und blau ist der Himmel allerdings nicht. Der Horizont versteckt sich dauerhaft hinter einem braun-trüben Sandschleier. Heißer Wüstenföhn statt frischer Brise. In der Landschaft um uns herum wirbeln Staubteufel hoch hinaus und verschwinden wieder. Neben unserem Weg toben viele dieser kleinen Wirbelwinde, die durch schnelles Emporsteigen einer heißen Luftblase entstehen. Manchmal fegt der Wind auch uns ordentlich Staub ins Gesicht. Auch wenn Fahrt- und Wüstenwind uns nicht abkühlen, so trocknen sie uns doch zumindest. Auch wenn sich die Hitze staut, schwitzen wir kaum, oder merken es zumindest nicht bei der Fahrt. Wir fragen uns, wo die bis zu zehn Liter Wasser bleiben, die jeder von uns täglich trinkt. In der Blase landen sie nicht, wir müssen einfach nicht pinkeln. Das ist auch ganz gut so, denn hier am Straßenrand wasserlassen gestaltet sich als äußerst schwierig. Kilometerlang gibt es keinen einzigen Strauch, hinter den man sich schnell hocken könnte. Arne hat es da leichter als Mann, er muss sich lediglich an die neue Position gewöhnen, die er sich abgeschaut hat. Pinkeln im Hocken, so dass das Gemächt zwischen den Beinen im Verborgenen bleibt. Ich muss ewig laufen, bis ich den einzigen Busch weit und breit erreiche.

 

Iran- Land zahlreicher Wüsten. Wir sind hier noch lange nicht in der heißesten Umgebung des Landes. In der Wüste Lut wurden über 70 Grad gemessen. Dort leben Skorpione, die sich von den Überresten von in der Hitze verendeten Vögeln ernähren. Um uns herum erreicht die Luft lediglich Dauertemperaturen um 40 Grad. Schattenplätze sind rar. Sogar auf dem Mittelstreifen wird pausiert, wenn es dort einen schattenspenden Baum gibt. Reicht aber nicht für alle. Die meisten der Trucker machen ihren Mittagsschlaf direkt im Schatten ihres eigenen Fahrzeugs. Da können unsere Räder nicht viel bieten. Wir kaufen 1,5Liter-Eisblöcke, in Plastikflaschen abgefüllt, die immerhin erst nach zwei Stunden Teetemperaturen erreichen.

 

Erstmalig auf unserer Reise habe ich keine Freude am Radfahren. Daran ändern auch die dauerhaft anhaltenen „Welcome to Iran“-Rufe nichts. Es ist heiß, die Kehle ist trocken, der Verkehr ist grauenhaft laut und die Luft von Abgasen verpestet. Veraltete Industrieanlagen geben dem Ganzen den Rest. Die kleinen wüstenbraunen Orte sind lediglich Ansammlungen von Schrauberbuden, verschmiert und vermüllt. Wir fühlen uns selbst wie Transitfahrer. Nachdem wir den ganzen Tag draußen waren, verspüren wir abends das Bedürfnis nach frischer Luft. Glücklich steigen wir abends vom Rad, glücklich, weil wir wissen, dass das Radeln für heute beendet ist.

Abends beginnt für uns der schönere Teil des Tages. Im Iran ist das Beherrbergen von Ausländern über Netzwerke wie Couchsurfing und Warmshowers verboten. Die Warmshowers- Karte ist jedoch so voll von Gastgerbern wie in bisher keinem anderen Land. Wir tauschen Zelt gegen Familienleben. Wir verschwenden keinen Gedanken mehr an unsere Schlafplatzsuche, denn das wäre verschwendete Zeit. Wir fahren in eine Stadt, suchen uns von den vielen potentiellen Gastgebern eine Nummer raus und rufen an. In diesen zehn Minuten haben wir dann oft zusätzlich noch Einladungen von Menschen auf der Straße bekommen. Tatsächlich bleibt es bei einer einzigen Nacht im Zelt in den folgenden sechs Wochen. Die Iraner öffnen uns in den kommenden Wochen ihre Türen, und wir sind, wie die anderen Touristen auch, irgendwie ein Tor zur Welt.

 

Yashar aus Marand, kurzhosig unterwegs, treibt es auf die Spitze. Sein Hobby: Radreisende aufnehmen. Der achtzehnjährige Yashar hat es in den letzten zwei Jahren auf mittlerweile über 450 Gäste geschafft. Er ist routiniert, besorgt allen Gästen Sim-Karten auf seinen Namen oder bei Bedarf sogar ein Konto. Einmal musste er schon vorsprechen bei der Polizei, wegen diesem ganzen Ausländerkontakt. Yashar hat durch die Kontakte viele unterschiedliche Lebensweisen außerhalb seines strikt religiös regulierten Landes kennengelernt. Auch wenn das die hiesigen Regeln nicht außer Kraft setzt. Wir sollen seine Freundin kennenlernen. Wir gehen ins Café. „Nee, lass und hochgehen“. Und wir sehen warum. Hier oben, hinter zugezogenen Vorhängen, turteln heimlich Verliebte. Der Pärchentreff also. Natürlich weiß sowohl Yashars Familie als auch die seiner Freundin nichts von den beiden. Nur wer verheiratet ist, darf sich öffentlich als zusammengehörig zeigen. Das andere Geschlecht kennenlernen ist nicht leicht. Mädchen und Jungen besuchen getrennte Schulen. Schwimmbäder, Fitnesscenter… alles geschlechtergetrennt. Seine Freundin steht auf und wirft sich den schwarzen Tschador über, sie muss um 18 Uhr wieder zu Hause sein.

 

Am nächsten Morgen fahren wir früh los, um schon vor der Hitze unterwegs zu sein. Doch nicht ohne einen Abstecher in die Bäckerei von Yashars Papa. Der bäckt bereits seit Stunden im Akkord Fladenbrote.

Wir sind wieder auf der Straße. Schal und Buff schützen unsere Atemwege. Hitze unterm Kopftuch. Dichter Verkehr. Schon wieder sind wir den ganzen Tag in praller Sonne stumm hintereinander hergefahren. Gespräche gehen im Verkehrslärm unter. Gemeines Jucken, Pusteln und Bläschen am ganzen Körper, mein Fuß ist dick geschwollen und die Haut gespannt. Und auf einmal sitze ich weinend im einzigen Schattenplatz und fühle mich elendig. Hameds Mittagseinladung ins klimatisierte Einkaufszentrum kommt wie gerufen.

 

Gut, dass es nicht mehr so weit ist bis zu Saeids Haus in Tabriz. Haustür auf: Gucken wir doch mal rein in die Häuser und Wohnungen. Wichtigster Raum ist stets das sehr große Wohnzimmer mit offener Küche. Die Einrichtung ist auf Beisammensein und Geselligkeit ausgelegt und meist gnadenlos überkitscht. Der Fliesenboden ist komplett überteppicht. Die Perser lieben einfach ihre Teppiche. Goldene und silberne Sofas und Sessel bieten nicht selten für über 15 Leute Platz. Die Sitzgarnituren sind nicht in einer Ecke untergebracht, sondern einmal komplett um den großen Mittelteppich herum an den Wänden entlang aufgestellt. Auf dem großen freien Teppich in der Mitte landet zur Mahlzeit das "Tisch"-Tuch. Wenige haben einen Esstisch zu Hause. Das Leben spielt sich im großen Gemeinschaftsraum ab. Bis auf Sessel und Sofas gibt es kaum Möbel. Das Wohnzimmer ist kein Ort für Bücherschränke. Private Räume sind klein und wenig genutzt. Bei manchen ist alles eins. Der Teppich ist Sofa, Esstisch und Bett zugleich. Toilette und Dusche sind meist in getrennten Räumen. Fast überall gibt es die Hocktoilette. Natürlich landet das Toilettenpapier im Mülleimer, sonst ist die Toilette verstopft. Nach der Dusche sind wir oft schrecklich unerfrischt, denn das Anziehen in der Demse der kleinen Nasszelle ist schweißtreibend. Nur im Handtuch durch das immer volle Wohnzimmer zurück zu dem kleinen Privatzimmerchen zu laufen ist hundertpro zu gewagt.

 

Eines haben alle Wohnungen gemeinsam. Die großen blickdichten Vorhänge sind überall geschlossen. Es ist doch wirklich absurd, aber im Iran gibt es Freiheit eben nur hinter Mauern, geschlossenen Türen und zugezogenen Vorhängen. Der öffentliche Raum ist Raum von Restriktion und Verboten, ständig ist man den Augen der Sittenpolizei ausgeliefert. Man trifft sich nicht in Kneipen oder im Club, denn das gibt es ja hier gar nicht. Verboten. Zu Hause ist man frei. Dann vergessen wir manchmal, wo wir gerade sind. Und genauso verlassen wir dann die Wohnung: Schon wieder das Kopftuch vergessen.

 

Saeid hat uns in Tabriz bei sich aufgenommen. Er ist unser Alter, musste, wie alle iranischen Männer, bereits zwei Jahre beim Militär vergeuden, ist jetzt im Partydekobusiness und hat nun einen leider schlecht laufenden Laden für Backwaren. Kaum Kunden aber dafür viel Zeit, um Mundharmonika zu lernen.

 

Hanna kann nicht mehr laufen, so angeschwollen ist der Fuß. Vermutlich eine Reaktion auf die Hitze. Der Doktor ist nach Hause gekommen. Es gibt eine Injektion in den Po. Die Geste wird vor der abendlichen Picknickrunde im Stadtpark direkt wiederholt und vermutlich sagt er sowas wie: „Der habe ich heute schon in den Hintern gepiekt.“ ,denn die Runde gackert laus los.

 

Es ist erstaunlich, wie viele Körbe voller Krams abends in die iranischen Stadtparks geschleppt werden. Teegläser, riesige Teekocher, große Metallspieße die im Oma-Stofftäschchen auf ihren Grilleinsatz warten, Töpfe voll eingelegtem Fleisch, Töpfe voll anderem Essen, Grillgitter, stapelweise Brot, große Wassermelonen, Kühlboxen voller Eis und Getränke. Eine einzige Picknickdecke bietet Platz für 15 Menschen. Und da all der Kram ganz schön schwer ist und die Stadt natürlich nur Wege für Autos gebaut hat, fahren wir alle mit dem Auto in den Park. Und wenn die besten Plätze bereits besetzt sind, ist das auch nicht schlimm. Dann wird die Decke direkt auf dem Asphalt ausgebreitet.

 

Wir picknicken in herrlich lockeren Runden, die Kopftücher rutschen ständig vom Kopf. Niemand trägt hier freiwillig ein Kopftuch. Jeder meckert über die Regierung. Niemand will hier so leben. Sie wollen diese ganzen Verbote nicht. Und daher werden überall mal mehr und mal weniger Verbote gebrochen. Drüben tanzt im Baumschatten eine Gruppe. Bei uns hat das wilde Schnipsen begonnen. Es wird gegackert und wir vergessen mal wieder, wo wir doch eigentlich sind.

Der Fuß ist abgeschwollen. Neue Klamotten sind gekauft, die zwar eher wie ein Schlafanzug aussehen, aber immerhin die Wärmeabfuhr nicht behindern. Na los! Wir ziehen bis Teheran durch.

 

Mittagspause. „Nein, ihr braucht natürlich nicht euer Essen bezahlen!“ Na wenn das mal kein Tarof ist- diese merkwürdige iranische Form der Höflichkeit, die eigentlich gar nicht so gemeint ist. Nur wenn nach wiederholtem Ablehnen weiterhin auf die Einladung bestanden wird, kann man davon ausgehen, dass diese auch wirklich ernst gemeint ist. Unser Freund Payam hat diesem Tarofkram abgeschworen, nachdem er eine chinesische Touristin unaufrichtiger Weise spontan dazu eingeladen hat, während ihres Urlaubs bei ihm zu Hause zu wohnen. Sie hat das, warum auch nicht, dankend angenommen. Seine Frau und er haben jedoch ziemlich blöd aus der Wäsche geguckt, als sie mit ihrem Koffer vor der Tür stand, und für 10 Tage bei ihnen einziehen wollte. Da konnte er ja schlecht das Angebot zurücknehmen.

 

Die Kopfhörer sind dauerhaft an: Hörbücher, Musik und Audiodokus füllen unsere langen Tage. Rekord! Heute: 170km. Wir kommen abends bei unseren Gastgebern in Zanjan an. Zum Feiern sind wir außerhalb der Stadt in den Familiengarten gefahren. Der Eisblock, der eben noch außerhalb des Autos in der eingeklemmten Plastiktüte zu schmelzen begann, wird nun zu Crushed Ice verarbeitet. Die Lieferung Hochprozentiges ist angekommen. Abgedanct wird weit weg von der Stadt.

 

Ich weiß gar nicht, ob uns eigentlich irgendjemand nicht nach „Insta“ gefragt hat. Verwundert nicht, denn aufgrund der vielen Verbote in der Öffentlichkeit, findet die Kommunikation im Alltag viel über soziale Medien statt. Nein wir haben kein Instagram- wie oft wir darauf hin schon enttäuscht angeschaut wurden. Du kannst per WhatsApp schreiben. Herzchensmileys. I miss you. 10 Blumensträuße. How are you? Where are you? I love you. Unsere vielen neuen Bekanntschaften scheuen keine Liebesbekundungen. Und erkunden sich viel nach unserem Wohlbefinden. Wir haben in kürzester Zeit eine Menge Kontaktdaten gesammelt. Falls ihr irgendwie Hilfe braucht, meldet euch. Menschen, die wir einen Nachmittag irgendwo getroffen haben, erkundigen sich noch Wochen später.

Auf uns wartet jetzt die Mega-Metropole Teheran! Die Straße wird voller, natürlich wieder mindestens drei Spuren in jede Richtung. Am Himmel fließen das Braun der nun schneelosen Bergausläufer des Elbursgebirges und das Braun der smog- und sandgesättigten Luft ineinander. Aus drei Spuren werden vier Spuren. Die Teheraner fahren eng nebeneinander und eröffnen eine fünfte. Eine Wasserflasche wird aus einem Auto gereicht. "Dass ist viel zu gefährlich", meint Pooya. "Ich kann euch mitnehmen. Die Räder passen doch auch ins Auto." Dankend lehnen wir ab, haben aber mal wieder Nummern ausgetauscht.

 

Was auch immer man in Teheraner Fahrschulen beigebracht bekommt: Mit Gewissheit keine Vorfahrtsregeln und auch nicht dieses komische Gegenseitige-Rücksichtsnahmen-Ding. Hier gilt das Gesetz des Stärkeren, des Schnelleren, und des Dreistesten. Regel Nummer eins: Schaue nie vorher auf den Verkehr, bevor du auf eine Straße biegst. Drauf zuhalten und später gucken. Und irgendwie, wenn man die Hand an der Bremse hat und weiß, wie idiotisch die hier fahren, macht es tatsächlich Spaß, sich hier durchzuschlängeln, seine Lücken zu suchen. Wir spielen Tetris in Teheran.

 

Teheran ist autoverstopft und es scheint, als hätte man die Stadt nicht für seine Einwohner, sondern für deren Blechkisten gestaltet. Kaum einer ist zu Fuß unterwegs und wer will hier auch schon freiwillig laufen? Dass Iran bei der Anzahl der Verkehrstoten immer oben mitmischt, kann sich jeder auch ohne Statistik selbst zusammenreimen. Durch die ganze Stadt ziehen sich Highways über Highways.

 

„Die Luftverschmutzung in der iranischen Hauptstadt Teheran ist derzeit so hoch, dass am Montag sämtliche Schulen und öffentliche Einrichtungen geschlossen bleiben.“ Alle Jahre wieder die gleichen Nachrichten aus Feinstaubcity Teheran. Die Kombination ist ungünstig. Massenweise veraltete Fahrzeuge fahren durch die Stadt, gleichzeitig mangelt es an alternativen Verkehrsmitteln. Der Benzinpreis liegt bei unter 10 Cent je Liter, hinzu kommen die minderwertige Qualität des Benzins sowie die veraltete Industrie. Die Stadt ist eingekesselt vom Elbursgebirge, da bleibt die braune Dunstglocke über Teheran hängen. Lösungen gibt es wohl neben vorübergehenden Schließungen nicht. Es bleibt das Warten auf Regen oder Schnee. Tausende Menschen sterben jährlich allein in Teheran an den Folgen der Luftverschmutzung.

Wir landen tatsächlich bei Pooya zu Hause. Die Mama ist gerade zurückgekehrt von ihrer längeren Europareise und die Wohnung voll von Freunden und Bekannten. Zum Reisen benötigte Faride natürlich, wie alle iranischen Frauen, die Unterschrift ihres Ehemannes. Ebenso wie man für alles Mögliche eine Erlaubnis des Ehemannes benötigt, wenn man als Frau einen Beruf ausüben möchte beispielsweise, oder einen Reisepass besitzen möchte, seine Eltern besuchen mag oder sich Scheiden lassen will. Denn als Frau ist man in der Islamischen Republik Iran, in der seit der Islamischen Revolution 1979 die Scharia als Gesetzesgrundlage gilt, per Gesetz Wesen zweiter Klasse. Eigentlich, laut Gesetz, sind Männer und Frauen Gleichberechtigt. Aber eben unter Berücksichtigung islamischer Prinzipien. Heißt auch, es gibt Freiheit in der Kunst unter der Berücksichtigung islamischer Prinzipien. Es gibt Meinungsfreiheit, natürlich unter Berücksichtigung islamischer Prinzipien. Und so sind die Frauen eben auch unter diesen Prinzipien frei. Diese Freiheit der Frauen bedeutet auch, dass ihre Aussagen vor Gericht nur halb so viel Wert sind wie die der Männer; dass es Vergewaltigungen in der Ehe nicht gibt, denn Ehemänner haben das Recht auf sexuelle Verfügbarkeit der Ehefrau; dass man dem Ehemann zu Gehorsam verpflichtet ist. ..Dass bei einer Heirat jeder seinen Namen behält und das Kind automatisch den Namen des Vaters bekommt und bei einer Scheidung natürlich das Sorgerecht immer beim Vater liegt. Es geht natürlich um die Linie des Mannes. Da außerehelicher Sex mit Todesstrafe einhergeht, sollte man sich als Frau gut überlegen, ob man eine Vergewaltigung zur Anzeige bringen möchte. Shirin Ebadi berichtet zudem, dass viele der iranischen Frauen ahnungslos sind oder waren, wie schlecht es tatsächlich um sie per Gesetz gestellt ist.

 

Mit dem Alter von neun Jahren gehören die Mädchen zur Gruppe derjenigen, die sich in der Öffentlichkeit verschleiern müssen. Diskussionswürdig das Alter. Wäre ab Schuleintritt, also mit 6 Jahren, nicht vielleicht besser?

Wenn man sich freiwillig aufgrund von Glauben, konservativen Einstellungen oder welche Gründe auch immer an dieser Stelle anzuführen sind.. Wenn sich Frauen freiwillig unterwerfen wollten. Hmmm. Jede der Frauen, die wir getroffen haben, ausnahmslos jede, gehörte nicht dazu. Hier geht es nicht nur um eine Kleidungsdebatte. Die Tragödie und das Ausmaß der Diskriminierung von und Verbrechen an Frauen erschließt sich uns Stück für Stück. All diese Frauen leben in einem Staat, in dessen Gefängnissen zu Tode veruteilte Jungfrauen vor der Vollstreckung des Urteils vergewaltigt werden, denn die Frauen und Mädchen dürfen nicht hingerichtet werden, solange sie Jungfrauen sind. Dass das hier tatsächlich Realität ist, erschlägt uns. Dass das Lebensrealität ist, all die Menschen, die wir kennenlernen, in diesem Verbrecherstaat leben müssen, trifft uns.

 

Wir treffen auf viele moderne Frauen und Männer, die unter solchen Gesetzen nicht leben wollen. Ehepartner, die einen Ehevertrag unterzeichnen, in denen die Männer ihren Frauen gleiche Rechte zusprechen. Hat dieser Vertrag im Falle einer Scheidung Gültigkeit? Die Menschen haben die Schnauze voll von den Religiösen Führern.

 

Wir trinken uns gemeinsam woanders hin. "Die reichen Nordteheraner, die tuen so, als würden sie in Europa leben", kommentiert ein Bekannter. Tatsächlich fließen heute auf der Party der geschmuggelte Schnaps und das selbstgebraute Bier in Strömen. Ganz leicht selbst herzustellen, aus dem offiziell erhältlichen alkoholfreien Bier wird mit Hilfe von Zucker und Hefe schnell wieder ein alkoholisches Getränk. Die Leute hier haben sich mit sehr viel Geld ihr Paralleluniversum geschaffen, in dem man vergessen kann. Hier dreht sich das Leben, zumindest heute, um Spaß haben, um Genuss, um Luxus und Verschwendertum. Der Tisch ist überladen vom europäischen Büffet. Schließlich, als alle satt und besoffen sind, wird ein riesiger Turm Pizzen geliefert, die keiner Essen will. Eine Schokotorte wird ausgepackt. Die Klamotten sind chic, der Makeup-Vorrat unserer Gastgeberin könnte einen kleinen Laden füllen. Natürlich sind nicht wenige der Anwesenden operiert. Auf dem Balkon wird ohne Kopftuch getanzt und geraucht, obwohl der Erste Sekretär des Premierministers gegenüberwohnt.

 

Kleiner Ausflug zurück zu den Bekleidungsvorschriften. Die Haare sind bedeckt, die Arme und Beine auch, die Kleidung darf nicht figurbetont sein, ein langes Oberteil muss die Figur bis kurz über das Knie bedecken. Was bleibt sind natürlich, neben Auswahl möglichst stylischer und auffälliger Kleidungsstücke, nur begrenzt freie Körperpartien, um die individuelle Schönheit herauszuputzen. Und hier holen viele der Frauen raus, was möglich ist. Finger- und Fußnägel sind meist perfekt bearbeitet. Aber Punkten kann man eben nicht mit Nägeln, sondern dem Gesicht wird die hundertprozentige Aufmerksamkeit geschenkt. Zum Alltag vieler iranischer Frauen gehört ein morgendliches Aufhübschungsprogramm mindestens in Qualität eines professionellen Fernseh-Make-Ups. Die Schminktische der Frauen quellen über, ein riesiger Absatzmarkt für die Kosmetikindustrie. Und was nicht erpinselt und erpudert werden kann, wird eben chirurgisch hergestellt. Auf den Straßen Irans begegnen uns auffällig viele Pflaster auf frisch operierten Nasen. Wangen werden bearbeitet, Lippen vollmundig gespritzt. Auch mal ein Kinn korrigiert. Wir beginnen in jeder Runde das traurige Spiel: Wer ist operiert? Und es sind immer mehrere dabei. Die Frauen versuchen sich die Freiheit zu erschminken, die ihnen nicht zugestanden wird und unterliegen gleichzeitig neuen Zwängen.

 

Wir müssen eine Pause machen und uns mit bürokratischem Organisationskram auseinandersetzen. Und das können wir sicher nirgends so gut wie hier, bei unserer lieben Teheraner Familie, mit der so wunderbar kochenden Mama, mit Massagesessel im Zimmer, mit Klimaanlage und zugezogenen Vorhängen. In Teheran ist für uns, wie für viele andere Langzeitreisende, Visamarathon angesagt. Und so versinken wir die nächsten Tage in Papierbergen und in Internetforen. Wir müssen zur deutschen Botschaft, um einen Zettel für die chinesische Botschaft zu bekommen. Wir müssen das usbekische Visum abholen, das turkmenische Visum beantragen, einen Berg an Unterlagen für unser Chinavisum zusammenstellen und damit zur chinesischen Botschaft juckeln. Und wir brauchen eine Visumsverlängerung für den Iran. Und während unsere vielen Anträge bearbeitet werden, fahren wir in Richtung Süden nach Isfahan, um endlich mal ein wenig Tausendundeine Nacht kennenzulernen.