Iran - Isfahan, Kaspisches Meer und Berge


Hörend mitradeln:


Isfahan- hier können wir uns den alten Orient aus Tausendundeine Nacht vorstellen. Hier schimmert das alte Persien in Architektur und Kunsthandwerk. Himmelblaue Zwiebelkuppeln, eindrucksvolle islamische Baukunst. In das Blau und Türkis der Mosaikkunstwerke und gefliesten Wände mischen sich gelbe und grüne Ranken und Blumen sowie feine, verschnörkelte Inschriftenbänder. Die Kuppeln und Bögen sind nicht nur prachtvoll, sondern wunderschön. Die alten Moscheen haben nichts von der Kälte und Dunkelheit europäischer Kirchen. Das leuchtende Blau ist im lebensbejahenden Kontrast zur Wüstenfarbe des Landes.

Der riesige Meidan-e Naghsche-Dschahan von 1602, der zweitgrößte Platz der Welt, ist in der Mittagshitze wie ausgestorben. Früher wurden hier Paraden und Versammlungen abgehalten und zur Vergnügung des Schahs Polo gespielt. Jetzt liegt nur ein walförmiger Junge im zentralen Springbrunnen, um sich im flachen Wasser abzukühlen. Der Platz füllt sich erst abends wieder mit Leben. Dann ist es hier richtig voll.

Wir schlängeln uns durch den alten, verwinkelten, großen Basar von Isfahan, der sich in langen überkuppelten Gängen durch die Stadt zieht und der Hitze trotzt. Vom zweieinhalb Kilometer langen Hauptgang des Basars gelangt man auf verspielte Höfe und Nebenbasare. Hinter alten schweren Holztüren verstecken sich kleine Moscheen. Holzkarren poltern durch die engen Gänge. Durch die gleichmäßig versetzten Lichtlöcher in der alten Decke fällt wie eh und je Tageslicht. Bei Stromausfall fangen die Ladenbesitzer auch heute noch mittels Spiegel oder Silbertablett den Lichtstrahl ein, leiten ihn um und holen so ihre Ware aus dem Verborgenen der Dunkelheit zurück. Chinakrams neben Kunsthandwerk. Kaufen kann man sowohl Plastikleggins als auch traditionell bedruckte Tischdecken. In den Gewürzständen wird immer noch Safran verkauft. In Schalen und Säcken werden getrocknete Rosenblätter, getrocknete Limetten oder Melonen, Berberitzen, Feigen und Pistazien angeboten. Auf dem Kupfermarkt werden Töpfe, Geschirr und Platten in Form gehauen. In ausdauernder Klopfarbeit entstehen filigrane orientalische Muster in Metalltellern. Vasen und Döschen erhalten ihren letzten Schliff. Wir bekommen eine kleine Einweisung in Teppichkunde.

Die zwanzig Zypressenholzsäulen der Palastveranda spiegeln sich im Wasserbecken des Gartens wieder. Das Spiegelmosaik im Eingangsportal des Vierzig-Säulen-Palasts ist prächtig. Verzierungen und Malereien sind alt und farbenfroh. Das Paradies des persischen Palastgartens ist jedoch nicht mehr wie damals so nass-plätschernd- einige der Wasseranlagen führen kein Wasser.

Die Bilderbuchbrücken Isfahans führen seit Jahren nur noch über das ausgetrocknete Flussbett des einst fließenden Zayandehrud, der eigentlichen Seele der Stadt. Die Isfahaner sind unglücklich, denn ihnen fehlt etwas im Herzen, seitdem der Fluss für die Landwirtschaft umgeleitet wurde. Sie sitzen weiterhin am Ufer, als würde da noch Wasser vor ihnen fließen.

 

Wenn es dunkel wird, verwandeln sich die Bögen der Chadschu-Brücke in einen magischen Ort. In außergewöhnlicher Schönheit und Wärme hallt Musik von den Steinen, denn dort, wo einst Wasser floss, versammeln sich heute die Isfahaner und singen Lieder. Lieder, die schon früher, vor der Revolution, gesungen wurden. Die Zuhörer bleiben zwischen den Brückenpfeilern stehen. Und wenige Bögen weiter lauschen die Menschen anderer Musik. Sie kommen, um diese alten melancholischen Lieder zu hören, in denen auch von Alkoholexzessen gesungen wird. Lieder, die noch immer in den Menschen sind, denn viele singen mit. Einige kommen jeden Abend, um zu singen und zu tanzen. Verbotener Weise. Und das traurig trockene Flussbett wird in diesen Stunden zum schönsten Ort der Welt, zum Sehnsuchtsort und diesen Ort lassen sie sich nicht nehmen. Es ist der bisher ergreifenste Moment unserer Reise, der in unglaublicher Poesie und Magie die Schönheit und Tragik dieses Landes vereint.

Wir sitzen im Bus zurück nach Teheran, wo Visa, unsere Fahrräder und unsere Gastfamilie auf uns warten. Bei Mama Faride landet wieder Köstliches auf dem Tisch und es ist Zeit, sich den Iran auf der Zunge zergehen zu lassen. Einer von uns schafft es immer irgendwie das kleine Stückchen freien Teppichs zwischen uns und der Tischdecke, die eigentlich Teppichdecke heißen müsste, zu bekleckern. Wir müssen üben: Ein Stück von dem hauchdünnen Lavash-Fladenbrot abreißen, Essen rauf, irgendwie zusammenwickeln und unten zuhalten, dass beim Abbeißen auch ja alles im Brot bleibt. Zum Essen gibt es verschiedene, für die Iraner sehr unterschiedliche, für uns sehr ähnliche Sorten Brot, denn sie sind alle weiß und werden viel zu schnell trocken. Beim beliebten Sangak- Bäcker in Teheran müssen wir uns in der Richtigen Schlange einordnen. Das heiße Brot wird auf das Gitter geschmissen. Die Käufer pulen die restlichen Kieselsteine, auf denen das Brot gebacken wurde, aus dem Brot heraus, einige schrubben mittels Brotbürste schwarze Reste weg, wieder andere benutzen das bereitliegende Messer, damit aus dem Riesenfladen ein handliches Paket wird.

 

Wir Raupe-Nimmersatten uns durch: 'Schirin Polo Zereschk'- Safranreis mit Hühnchen, Berberitzen und Pistazien. 'Tahchin'- eine Art Reiskuchen und 'calo'- Butterreis auf krossen Kartoffelscheiben. Wir genießen bei der Hitze die eiskalte Gurken-Jogurtsuppe 'abdoogh'- mit Walnüssen, Rosinen und vielen frischen Kräutern drin. Wir kosten 'torshi'- für uns ungenießbar sauer eingelegtes Gemüse und Obst. Wir trinken Tee, aber ohne Zuckerstückchen im Mund. Schlürfen 'doogh' - die iranische Ayranvariante mit Minze und Rosenblättern drin. "Cheili Cheili Choshmase!" – sehr, sehr lecker.

 

Egal wie jung und modern unsere Gastgeber auch sein mögen, Küche und Haushalt sind Aufgaben der Frau. Im Teheraner Wohnzimmer ist eine hitzige Diskussion entfacht. Hätten wir doch besser die Klappe gehalten. Bei Marie treffen wir einen wunden Punkt, als wir von der Arbeitsteilung im Haushalt reden, von Doppelbelastung berufstätiger Frauen. Jetzt feuert Marie los, gegen Schwiegermami, die eben Hausfrau ist, die ihre Söhne verwöhnt und sie nicht helfen lässt. Und sie feuert gegen die Söhne, die gar nicht ans Helfen denken. Immerhin wächst Payams Interesse am Abwasch, denn dieses Glücksspiel „Wer-die-kleinere-Zahl-würfelt-muss-abwaschen“ hat es ihm doch irgendwie angetan.

Wir müssen unsere Visa einsammeln. Und innerhalb Teherans geht auch für uns nichts mehr ohne Taxi. Wir schauen aus dem Autofenster in die Stadt. Wir fahren vorbei an Hochhäusern, an großen Bildern von Märtyrern und an Anti USA- Propaganda. Das Gesicht der Freiheitsstatue ist zum Totenkopf verzerrt. Wir fahren an Portraits in Häusergröße vorbei. Ständig und überall begegnen uns die beiden wichtigsten "Mushrooms" des Landes, wie junge Iraner die religiösen Turbanköpfe nennen: der bereits verstorbene Revolutionsführer und Gründer der Islamischen Republik Iran Ajatollah Ruholla Chomeini und sein, seit nun bald 30 Jahren, Nachfolger und derzeitiges politisches und religiöses Oberhaupt des Iran Ali Chamenei. Nach dem Sturz des Schahs formten der aus dem französischen Exil zurückgekehrte Chomeini und seine Anhänger den Iran zum Gottesstaat um. Alle anderen politischen Kräfte wurden gewaltsam ausgeschaltet oder vertrieben. Chomeini führte mit der Islamischen Revolution von 1979 eine Staatsform nach seinen Vorstellungen ein. Danach liege die Macht der Gesetzgebung allein bei Gott und Gottes Gesetze dürften nicht von Menschen verfälscht werden. Der Mensch finde seine Freiheit in Gottesgehorsam. Die religiösen Führer scheuen keine Mittel und Wege, die Menschen im Staat zum 'Gottesgehorsam' zu zwingen. Mit Militär, Überwachung, Sittenpolizei und eiserner Hand vertreten sie den zwölften Imam, der vor über 1250 Jahren in die Verborgenheit entrückt wurde. Und sie legitimieren ihre Diktatur damit. Die Macht des Obersten Führers ist umfassend und eine Absetzung des auf Lebenszeit gewählten Führers so gut wie unmöglich. Chamenie, der nett lächelnde Opi, ist ein islamistischer Hardliner. Und er ist mittlerweile schon ziemlich alt und krank. In welche Richtung, ob reformwillig oder beharrlich konservativ, sich der Iran danach entwickelt, ist schwer zu sagen. Bis dahin erklärte Hauptfeinde bleiben sowohl die Amerikaner und die Briten, die in der Geschichte einige Gründe zu Hass und Misstrauen lieferten, als auch die Israelis und das sunnitische Saudi-Arabien, mit dem Iran um die Vorherrschaft in der Islamischen Welt kämpft. Und sämtliche derzeitige und vergangene Proteste der iranischen Bevölkerung sind natürlich aus diesen feindlichen Ländern heraus gelenkt.

 

Unter der Führung dieser beiden Herren, die einen überall in der Öffentlichkeit durchdringend anschauen, geschahen seit der Islamischen Revolution etliche Gräueltaten. Die Gesetze sind streng und werden mit allen Mitteln durchgesetzt. Gemessen an seiner Bevölkerungszahl ist der Iran das Land mit den meisten Hinrichtungen, auch Minderjährige werden zum Tode verurteilt. Todesstrafe für Mord, Drogendelikte, moralische Verstöße, dazu zählen Homosexualität oder Sex außerhalb der Ehe, Gotteslästerung. Und natürlich für politisches Fehlverhalten. Allein diesen Juli, sind laut Human Rights Monitor mehr als hundert zu Tode verurteilte hingerichtet worden. In der Wohnung unserer Familie hängt ein großes Foto eines jungen Mannes. Der Bruder von Payam und Pooya. Und ein Bild, sieben junge Gesichter darauf, alles Familienangehörige. Und alle mussten während und nach der Revolution mit dem Leben bezahlen.

 

In uns verknotet es sich. Uns überfordert die direkte Konfrontation mit diesen persönlichen Schicksalen. Die Realität der Menschen, mit denen wir uns verbunden fühlen, ist grausam. Es ist schwer zu ertragen, dass die Menschen diesem System so machtlos ausgeliefert sind.

Wir verlassen heute Teheran, endlich. Wir brechen früh auf. Und während es im Wohnzimmer noch schnarcht, ist Faride natürlich schon wach. Sie kann uns doch nicht ohne Frühstück zurück auf die Straße entlassen. "Der Norden ist so schön", wurde uns gesagt, "fahrt dahin". Ein Blick auf die Karte zeigt, was im Norden auf uns wartet: der schmale grüne Streifen zwischen dem kaspischen Meer, dem größten See der Erde, und dem Elbursgebirge. Während das restliche Land im Regenschatten der Berge liegt, ist dieser Landstrich der nasse Vorgarten der Wüste. Wir sind naturdurstig.

 

Blöderweise treffen wir wieder auf einen alten, ungeliebten Bekannten, den Verkehr, der uns auch hinter Teheran einfach nicht loslassen möchte. Also fliehen wir vor Luftverpestung und Riesenstraße, finden binnen drei Minuten einen Bus, der uns und die Räder verstaut. Liebend gern würden wir selber fahren, aber wir gestehen uns ein, dass wir unter diesen Umständen keine Freude an noch so schönen Bergen haben würden. Also juckeln wir motorisiert über das Elbursgebirge, vorbei am schneebedeckten Damawand, den mit 5600m höchsten Berg des Landes .

 

Die Klimagrenze können wir förmlich sehen. Schlagartig wird der Himmel über uns bewölkt. Das dürre, karge Gebirge verwandelt sich in eine sattgrüne Berglandschaft. Hier stoßen Trockenheit und tropische Luftfeuchtigkeit aufeinander. Zu unserer Enttäuschung verändert die Umgebung, sogar die satten Reisfelder, irgendwie wenig. Die Landschaft bleibt straßenzerstört. Ganz Iran ist wohl von diesen Straßen verschandelt. Wir müssen uns nun gut überlegen, wie wir die nächsten zwei Wochen verbringen wollen. Uns informieren, wie die Straße in Richtung Osten weiterverläuft, und ob wir im Iran stur auf das Radeln bestehen, dass uns eigentlich immer glücklich macht. Nur verfluchter Weise eben nicht hier!

Wir lassen uns in Sari rauschmeißen und das Klima schlägt uns um die Ohren. Die Luftfeuchtigkeit ist tropisch und die 35 Grad fühlen sich in der Schwitzluft anstrengender an als die trockene Hitze zuvor. Die Frauen müssen unter ihren Schichten an langen Klamotten zerfließen. Unsere Gehirne werden zu Matschbrei.

 

Radelausflug ans nun so naheliegende Kaspische Meer. Und das kann sich sehen lassen! Der Strand von Sari, ein heißer Tipp. Badespaß pur! Ganze Familien sitzen vollbekleidet im wadenhohen Meer, bewerfen sich mit Modder und rollen sich durch das Wasser. Pfiffe- der Badespaß wird beendet. Der Spaßverderber braust auf seinem Moped durchs Nass, pustet in seine Trillerpfeife und verscheucht die Badenden. Ist er weg, trauen sich wieder ein paar mutige zurück. Aber nicht mit ihm. Bis keiner mehr im Wasser ist, fährt er den kurzen Strand rauf und runter. Wie einst ein weises Känguru sagte: „Ein Idiot in Uniform ist immernoch ein Idiot.“ Der Familienstrand mit Picknickpavillons und Kamelreiten endet nach etwa hundert Metern an einer riesigen blickdichten Wand. Der Sichtschutz zieht sich über den Strand bis weit ins Meer hinein. Im Wasser allerdings ist die schwere Folie heute aufgerollt, denn anscheinend ist ja Badeverbot. Unter solch einer Plane schmulen also die Jungs rüber zum Frauenstrand, an denen die Frauen, so abgeschirmt und abgetrennt, viel weniger tragen dürfen. Reza war, obwohl er nur 20 km südlich wohnt, seit 15 Jahren nicht im verdreckten Kaspischen Meer baden.

Na dann also ab in die Berge, mit Reza und seiner Wandergruppe. Der Bus ist mit Wanderlustigen gefüllt- der Ausflug in die Berge beginnt. Sobald dieser uralte klapprige Kleinbus losfährt, ist die Party in vollem Gange. Die Kopftücher werden sofort abgelegt, die nächsten zwei Tage ist Freiheit angesagt. In die Berge, dass ist hier nicht nur Natur gucken und frische Luft einatmen, sondern diese Wochenendtrips sind ein für viele Iranerinnen und Iraner wichtiger Freiraum im sonst so kontrollierten, öffentlichen Leben. Die Menschen gehen nicht einfach nur wandern. Sie lösen sich von den vorgeschriebenen Normen, haben freundschaftlichen Kontakt zum anderen Geschlecht, Tanzen, Singen, Albern und Saufen. Wir wissen jetzt, warum hier so außergewöhnlich viele wandern, klettern und mountainbiken.

 

Wir landen in schöner Natur mit besonders exotischer Flora. Bereits im Bus werden wir gewarnt: "Da gibt es eine Pflanze in den Wäldern, vor der müsst ihr euch in Acht nehmen, giftig wie Schlangenbisse." Aber diese große weiße Pflanze da, die setzt Gegengift frei, wenn man in hoher Frequenz auf die betroffene Stelle schlägt. "Da, das ist die Giftpflanze"- und wir müssen uns anstrengen, nicht laut loszuprusten, als Reza auf eine stinknormale Brennnessel zeigt. Auch wenn Gruppenwandern im gefolgsamen Gänsemarsch nun gar nicht unsers ist, wie wir feststellen, das Panorama um den Khero Nero Bergkamm, der die grüne Provinz Mazanderan von der trockenen Provinz Semnan trennt, ist beeindruckend schön. Und wir genießen das erste Mal im Iran Natur und frische Luft.

 

Knülle und platt nach der heutigen 15-Stunden-Etappe, fahren wir zurück nach Sari. Am Nachthimmel verfinstert sich gerade der Mond. Ausgerechnet der Mond, auf dessen Oberfläche sich doch das Gesicht des Revolutionsführers Chomeini widerspiegelt, zumindest behauptete er das. Wir können Bart und Turban, die doch eindeutig zu sehen sein sollen, beim besten Willen nicht erkennen. Da mangelt es uns wohl doch etwas am Glauben.

Bei Reza bleiben wir etwas länger. Die Wohnung ist klein und feucht, der Ventilator läuft permanent. Und Rezas Stirn ist voller Schweißtropfen, wenn er abends nach einem sehr langen Arbeitstag von seinem 20-Uhr-Zweitjob als Rezeptionist im Yogastudio nach Hause kommt. Hauptberuflich ist Reza Ingenieur für landwirtschaftlichen Wasserbau. Mit 20 Jahren Berufserfahrung verdient er 150 € im Monat und kommt mit seinem Zweitjob gerade über die Runden. Ein erfahrener Wasseringenieur, der am Limit lebt, in einem Land, das gerade am Vertrocknen ist und dringend alles in eine Verbesserung der Wasserwirtschaft stecken müsste.

 

In Isfahan haben wird das traurig vertrocknete Flussbett gesehen. Mojde hat vom Garten des Vaters erzählt, in dem es dieses Jahr kein Wasser mehr im Brunnen gibt. Amir hat uns Fotos aus seiner Heimatstadt gezeigt, in der braunes Wasser aus den Wasserhähnen läuft.

 

In den letzten 40 Jahren wurden viele Flüsse zu großen Wasserspeichern aufgestaut. Dies führte zum Anbau von extrem wasserziehenden Nahrungsmitteln wie Wassermelonen oder Reis. Die Landwirtschaft ist verschwenderisch und saugt das Land quasi aus. Wasser verdunstet in den offenen Kanälen der Felder. Durch den Klimawandeln ist auch der „wasserreiche“ Norden nicht mehr so wasserreich, wie er es einmal war. In den Stauseen befindet sich immer weniger Wasser, etliche Dämme sind mittlerweile ausgetrocknet. Der Wasserverbrauch der Iraner ist gigantisch. Die Aufbereitung von Wasser durch Kläranlagen findet hingegen in viel zu geringem Umfang statt. Zudem verkauft der Staat Wasser an seine Nachbarländer. Reza ist sich sicher, der nächste Krieg hier geht ums Wasser.

Unser Freund kam heute zufrieden nach Hause, denn sein Projekt wurde angenommen. Aber er muss mit schrecklich viel Taktgefühl in die Projektarbeit gehen, muss vorsichtige Überzeugungsarbeit leisten und sein Kollege muss natürlich noch ein wenig Schmiergeld drauflegen, damit das Projekt nicht bei den anderen Ingenieuren landet. Ingenieure, die zwar auf dem Papier bestens ausgebildet sind, sich aber mit Wasserversorgung nicht auskennen, denn das muss man ja auch nicht mit guten Kontakten. Er erzählt von Korruption, Projektklau und Zahlungsverweigerung seitens der Regierung. Und gerichtlich vorgehen kann man natürlich nicht, denn die Justiz gehört zu der Gruppe der Verbrecher. Er selbst ist um eine große Geldsumme betrogen worden. Geld, das er so sehr für die Behandlung seines todkranken Sohnes hätte gebrauchen können. Aber Reza will im Iran bleiben. Er ist doch hier zu Hause.

 

Viele, gut ausgebildete Iranerinnen und Iraner haben das Land längst verlassen. Hochqualifizierte Menschen, Wissenschaftler, Ärzte und Intellektuelle fliehen aus dem Iran. Die Verluste durch Braindrain sind riesig und weitreichend. Wir haben viele Männer und Frauen kennengelernt, die alles in eine Zukunft setzen, die sich nicht in ihrer Heimat abspielt.

 

Mit den aktuellen Sanktionen schießen die Probleme nach oben. Einige befürworten Trumps Schritt, denn nur durch den Wirtschaftskollaps könne endlich eine Veränderung kommen. Der iranische Rial bricht wahnsinnig rasant zusammen. Als wir reingeradelt sind in den Iran, haben wir für einen Dollar 80 000 Rial bekommen, 5 Wochen später sind es schon 100 000 Rial. Der offizielle Kurs liegt bei 42000. Den Schwarzmarkt- alias Echtmarkthändlern- drohen hohe Strafen. Es ist unangenehm, in dieser Stimmung verbotenerweise Dollar zu tauschen. Und inmitten der Händler entsteht eine Rangelei.

 

Es brodelt. Jeder, den wir gerade mal drei Minuten kennen, äußert seinen Frust über das Regime. Selbst der Taxifahrer schafft es ohne Englisch, aber mittels Turbangeste -der kreisenden Hand über dem Kopf- klarzustellen, was er von den geistlichen Führern dieses Landes hält. Shahab ist sich sicher, dieses Jahr knallt es noch. Andere geben dem System noch ein, zwei Jahre. Wieder andere sehen einfach kein Ende der Unterdrückung. Wie lange werden weiterhin Rufe nach Veränderung im Land mit aller Brutalität niedergeschlagen? Wir haben keine Ahnung, was kommen wird. Wir wissen nur, dass unter den 80 Millionen Iranern die Mehrzahl unter diesem Regime leidet.

 

Unsere Zeit im Iran neigt sich dem Ende entgegen und wir sind auch ganz froh darüber. Wir vermeiden nochmals die vollen iranischen Straßen und nehmen den Bus nach Mashhad. Von hier aus radeln wir zur turkmenischen Grenze.