Turkmenistan - Die Sanduhr läuft


Hörend mitradeln:


11. August.

Natürlich kommen wir genau heute an die turkmenische Grenze. 11.- 15. August- so steht es im Visum. Daten, Ein -und Ausreiseort - seit Wochen festgelegt. Genau 5 Tage haben wir, um das erste Stan-Land zu durchqueren. 5 Tage Transitvisum. Ein Touristenvisum gibt es nur mit gebuchten, genehmigten Touren inklusive Fahrer, Reiseleiter und Unterkunft. Individualreisende haben hier nichts zu suchen- sie sollen so schnell wie möglich wieder raus. Aber erst einmal müssen wir überhaupt rein in dieses Land, von dem wir bis dato gerade mal wissen, dass es irgendwie existiert und zudem Touristen mit peinlich peniblen Einreisebedingungen nervt. Wir sind vorbereitet: unsere Medikamente sind nach verbotenen Substanzen kontrolliert, Bilder mit bärtigen Männern gelöscht. Telefon, Kamera und Computer auf Pornografie im weiteren Sinn untersucht: die FKK- Ostseegrüße von zu Hause verbannt. Interviewfragen zu vermeidlich angestrebten Hotels müssen wir noch beantworten, wohlwissend, dass wir keines der überteuerten, turkmenischen Hotels ansteuern werden. Die Fieberthermometerpistole richtet der Grenzarzt direkt auf die Stirn. Genau 36° C bei uns beiden- laut Doktor steht der Einreise nichts mehr im Weg.

 

„Passport“- der Soldat lässt uns in das Grenzgebäude. „Passport“-heißt es 2 m weiter an der nächsten Glastür. Ernster Blick. „Passport“ am Schalter, am Fensterchen daneben, „Passport“ bei der ausgiebigen Taschenkontrolle. „Passport“, „Passport“, „Passport“- wir hatten tatsächlich gedacht, wir könnten nach erfolgreich absolviertem Pflichtprogramm jetzt einfach mal unsere Räder bis zum Ausgang schieben. Sehr viele pflichtbewusste, aber doch meist höfliche Soldaten und Grenzbeamte in verschiedenen Uniformen- jeder will den Ausweis sehen, auch, wenn bis zum nächsten grünen Offiziellen nur fünf Meter Fußweg liegen und er definitiv gesehen hat, dass wir gerade kontrolliert worden sind. Den Pass sollen wir lieber zehnmal zu viel als einmal zu wenig zeigen. Wir verkneifen uns flapsige Antworten und unterdrücken das aufkommende Bedürfnis, die Körpersprache spotten zu lassen, denn wir sind froh, wenn das hier einfach glatt über die Runden geht. Hier will man einfach keine Probleme bekommen.

 

Wir sollen nicht viel sehen von diesem Land, sondern ohne Umwege durchfahren und daran werden wir direkt mit Nachdruck erinnert. Nach Sarahs reinfahren lassen uns die Soldaten nicht. Sie weisen mit ausgestreckten Armen in die andere Richtung: Da geht es nach Uzbekistan- und nur da fahrt ihr jetzt lang.

 

Die Wüstensanduhr ist umgedreht: die Zeit läuft. 450km Turkmenistan liegen vor uns- noch 4 ½ Tage.

 

Der für die Gegend typische Nordost-Wind ist heute ein fieser Wüstensturm. Robert und Iwana aus Kroatien, mit denen wir gemeinsam radeln, lösen sich nur wenige Meter vor uns vollständig im Sandsturm auf. Lediglich 35 äußerst schwer erkämpfte Kilometer heute. Dafür gibt es keine sandkornfreien Stellen mehr an unseren Körpern. Das Zelt steht im Wüstensand. Der Sturm ist abgeflaut- unsere neuen Reisegefährten sind wegen Magenkrämpfen kurzentschlossen mit dem einzigen Laster weitergetrampt. Es ist still. Wir sind allein in der Wüste und glücklich, endlich mal wieder im Zelt zu schlafen.

Den dicht gesprenkelten Sternenhimmel schaut sich Arne heute Nacht besonders oft an – der Linsensalat vom Abend war offensichtlich nach dem 40°C-Tag in der Satteltasche schlecht geworden- und muss irgendwie wieder raus. Frustriert und mit verdorbenem Magen schleudere ich am nächsten Morgen die am Vortag gekochten Eier weg. Eines bleibt aufgespießt an einem Wüstenbuschast hängen. Es fährt sich beschissen, wenn einem kotzübel ist. Dennoch, 5 Uhr morgens ist es wunderbar ruhig, windstill und kühl. Sobald die Sonne knallt- und das macht sie hier schon ab 8 Uhr morgens- sind wir nahezu vollständig hinter Stoff verschwunden. Lange Hosen und Ärmel, Mütze und Helm, Buff über Nasen, Ohren und Gesicht gezogen, Sonnenbrille auf.

 

Wir werden mächtig durchgeschüttelt. Dennoch, die riesigen Schlaglöcher haben wir für uns allein, kein Auto weit und breit auf der 100-Km-Querfeldeinabkürzung zwischen Sarahs und Deňizhan am Salzsee. Bei der Straße wird uns bald klar, warum die Autofahrer den längeren Weg wählen. Die Ruhe und Einsamkeit sind wohltuend nach dem iranischen Verkehr der letzten Wochen. Wir müssen aber wirklich vorankommen heute- denn bis zum nächsten Wasser- und Essensnachschub haben wir noch 60 einsame Kilometer vor uns. Was für eine Landschaft- Um uns herum Sand, trockene Luft und dornige Büsche soweit wir gucken können- und viel weiter: fast ganz Turkmenistan ist versandet. Die Wüste Karakum macht etwa neunzig Prozent der gesamten Landesfläche aus. Erdmännchen flitzen davon. Breit- und kurzbeinig rennend, den dicken Po weit in die Luft gestreckt, verschwinden sie in ihren Sandlöchern. Unbrauchbares, lebensfeindliches und vertrocknetes Gebiet: Anbau- und Weideflächen kommen nur vereinzelt und äußerst selten vor.

Wir radeln gegen die Zeit, bald auf der Haupttransitroute des Landes. Aber auch hier: immer wieder gähnende Einsamkeit. Wir starten zum Sonnenaufgang und fahren so viel wie möglich, bevor uns der Nachmittagswind entgegenbläst. Erholsame Pausenplätze sind rar- um uns herum erhitzt sich Luft, wirbelt umher, Schatten gibt es selten- hier wollen wir unsere Decke nicht ausbreiten. Wir halten kurz, trinken ein Schluck und fahren weiter. Mittags pausieren wir völlig fertig in den weit auseinanderliegenden „Straßencafés“, aus denen die Sowjetunion noch nicht verschwunden ist. Lediglich die Essenspodeste, die unsere klassische Stuhl-Tisch-Kombination ersetzen, streuen mit ihren gemütlichen Kissen orientalisches Flair in die sowjetischen Räume. Wir sind nicht die einzigen, die nach dem Mittagessen ein kurzes Schläfchen brauchen. Auch vom Nachbarpodest schnarcht es laut, bevor die Wüstenreise weitergehen kann. Wir füllen unsere pausenglücklichen Körper mit literweise kalter Flüssigkeit auf. Nach spätestens 20 Minuten wird die Kehle wieder staubig trocken brennen. Wasser- und Essensversorgung müssen wir planen, schauen in jeder Pause auf der Karte nach, wie weit es bis zur nächsten Einkaufsmöglichkeit ist und decken uns entsprechend bis dahin mit Wasser ein. 1 Liter Wasser pro Stunde pro Nase sollten wir mindestens mitnehmen.

Die wenigen hier lebenden Menschen, an denen wir vorbeifahren, winken uns zu und laden uns zu Tee ein- aber wir müssen leider ablehnen und rollen weiter. Wir haben kaum Zeit, Menschen kennenzulernen, ganz im Sinne der turkmenischen Regierung. Es bleiben nur wenige Gelegenheiten, Eindrücke vom täglichen Leben einzusammeln. Wir schauen den Frauen nach, die mit ihren langen, bunt gemusterten Kleidern und hochgebundenen, aufgetufften Kopftüchern, wunderschöne wandelnde Farbtupfer sind im städtischen Grau oder ländlichen Braun. Wir stecken unsere Köpfe in den Wüsten-Imkertruck, genießen Honig auf steinschwerem, turkmenischen Brot. Wir quatschen auf einen Neskaffee mit einer unbekannten Telefonstimme, die zu einem pensionierten Deutschlehrer gehört. Und wir verabschieden uns vom Sohn des Deutschlehrers, der uns fast bedrängt mit dem extra für uns bestellten Essen inklusive Vodka und unser „Tschüß“ nicht so recht akzeptieren will.

 

Weiterfahrt- bis zur nächsten Vollpfostenkontrolle. Arne und Johanna Deutsch werden mal wieder registriert. Die Pässe haben wir bereits eingesteckt. „Dollar“ nuschelt uns der Beamte entgegen. „Thank you. Goodbye“ erwidern wir breit lächelnd und radeln schnell weiter, bevor die Kontrolleure auf ihr Schmiergeld bestehen.

 

Nach dem Abendessen dürfen wir nicht auf dem Fußboden des Straßenkafes schlafen, denn da schläft schon die Familie selbst. Aber wir dürfen das Zelt hinterm Haus aufschlagen. Zähneputzen und Waschen am Brunnen. Fließend Wasser gibt es nicht, Abwasser auch nicht, keine Kanalisation. Dafür werden die Plumpsklogerüche immer beißender und setzen sich schon nach kürzester Zeit in den Klamotten fest. Die Einladung zur Hochzeit müssen wir absagen nach zehn Stunden auf dem Sattel und dem nächsten anstehenden 5-Uhr-Morgens-Start. Wir sind gerade am Einschlafen, als ein Auto direkt bis an unser Zelt ranfährt. Die Jungenbande hat am Hochzeitsbüffet für uns geplündert: sie bringen uns Wassermelone, Kuchen, Wurst, Käse, Brot, Obst und Saft. „Wie lange macht ihr denn Urlaub in Turkmenistan?“, fragt uns der eine. „Naja dank eurer Regierung dürfen wir nur 5 Tage bleiben.“ „Psst, bloß nicht über Politik reden.“, ermahnt er uns umgehend.

Wir sind in einem der repressivsten Systeme weltweit unterwegs. Seit dem Zerfall der Sowjetunion und dem Wandel des Landes von der Turkmenischen Sozialistischen Sowjetrepublik in das unabhängige Turkmenistan, drücken sich, wie in den meisten anderen Stans auch, narzisstische Führer die Regierungsklinke in die Hand. Wohl allen gemein sind erstaunlich lange Regierungsperioden mit sich wiederholenden Wahlsiegen von über 90 Prozent bei nahezu hundertprozentiger Wahlbeteiligung. Zudem neigen die Herren zu ausgeprägtem Personenkult und sind durchweg nicht zimperlich mit der eigenen Bevölkerung.

 

Der Oberste Selbstverliebte Nummer Eins blieb bis zu seinem Tod 2006 an der Staatsspitze, nachdem er, als bereits amtierender Präsident, 1992 als Gründer der Demokratischen Partei Turkmenistans mit 99,5 Prozent wiedergewählt wurde.

Nyýazow, der selbsternannte Türkmenbasy ‚Führer der Turkmenen‘, bekleidete sich mit eigens kreierten Titeln und Orden, benannte Straßen und Plätze und sogar einen Meteoriten nach sich. Er sah sich selbst gern in Form von imposanten Statuen und sein Ruhnama-Buch war Pflichtlektüre für die turkmenische Bevölkerung, machte große Teile des Unterrichts aus, war Teil von Fahrschul- und Hochschulprüfungen. Er schoss den Vogel ab, als er ein Ruhnama-Exemplar ins Weltall hat schießen lassen. Und Turkmenistans Führende können es sich scheinbar leisten, sitzen auf Erdöl und den größten Erdgasreserven weltweit, die dem Staat und den Führenden erhebliche Einnahmen sichern. Und auch andere scheinen zu profitieren und sich wenig um ‚politische Eigenheiten‘ zu scheren, solange die Kasse klingelt. Nyýazows Ruhnama wurde in 40 Sprachen übersetzt, finanziert von namenhaften Firmen wie DaimlerChrysler und Siemens, die alle im Gegenzug nette Aufträge in Turkmenistan bekommen haben. Und was sind denn schon Schließungen von Krankenhäusern oder Kürzungen von Sozialleistungen gegen die netten und schnieken Repräsentationsbauten und Statuen?

 

Auch Berdimuhamedow, der neue, seit 2007 amtierende Präsident, der stets mit erstaunlichen Prozentsätzen wiedergewählt wird, verleiht sich eigens erschaffene Orden und zeigt sich gern als Multitalent. Er präsentiert sich der Bevölkerung auf Plakaten und Videos als DJ, als Sänger, Messerschwinger, Schriftsteller oder Sieger bei Auto- und Pferderennen. Er hält Hundewelpen in den Armen oder schwingt sich aufs Rennrad. Wir bekommen die goldene Reiterstatue von Berdimuhamedow leider nicht zu sehen, denn wir fahren nicht durch die weiße Hauptstadt Asgabat. Wir fahren durch Mary und Türkmenabat (benannt natürlich nach dem Türkmenbasy). Hier ist es nicht weiß. Die Hochhausreihen, in denen die Menschen wohnen, sind sozialistisch grau. Nur die Prachtbauten- die schimmern in weiß, manchmal ist auch ein wenig Gold dabei. Aber hier wird geputzt. Die Putzkolonnen streifen bei Sonnenaufgang durch die sowjetisch breit angelegten Prachtstraßen. Besen schwingen über bereits tadellos sauberen Asphalt. Jeden Morgen aufs Neue. Damit alles schön perfekt aussieht. Bei so schönen Anblicken vergisst man ja fast die leeren Regale der kleinen Tante-Emma-Läden, die beißenden Plumpsklogerüche oder die Armut.

Wir sind durchgerast bis Türkmenabat und trotz des permanenten Gegenwindes jetzt gut in der Zeit. Unsere letzten Manats haben wir in Wasser und Essen umgewandelt, starren beim Treppenfrühstück vor dem Laden auf die Menschen, die jetzt hier ihren Tag beginnen. „Stell dir vor, du wirst hier geboren. Was macht man nur, wenn man hier leben muss.“, das waren die Sätze der letzten Tage. In ein paar Stunden werden wir wieder raus sein aus diesem komischen Turkmenistan, von dem wir jetzt zwar eine Vorstellung haben, aber irgendwie doch nichts wissen. Dann erwartet uns Usbekistan. Der Junge aus dem Laden kommt raus und schenkt uns zwei Eis.

 

Grenzort Farap: Noch einmal irgendwelche Papiere ausfüllen, die Satteltaschen in den Scanner, Pässe zeigen und wir sind draußen.

 

Tschüß, Turkmenistan.