Peru III - Das Gold von Cajamarca


Hörend mitradeln:


Die Sonne ist gerade erst aufgegangen. Noch hat sie wenig Kraft und in den Anden ist es kühl. In Cachicadan steht ein Feierzelt auf der Straße. In der Morgenkälte sitzen Menschen auf Stühlen und Bänken und essen dampfende Suppe mit großen Fleischstücken. Wir werden rangewunken, sollen anhalten und  hier mit den Leuten frühstücken. Durch eine offen stehende Tür blicken wir auf einen Sarg. Kerzen brennen. Essenseinladung zur Beerdigung? Jorge überredet uns. Das mache man hier so, alle kämen zum Essen vorbei, erklärt uns der Sohn der Verstorbenen. "Suppe für euch?" Jetzt liegt sie da, seine mamá, mit 68 plötzlich aus dem Leben geschieden, im glänzenden, offenen Sarg. Sie bleibt noch für kurze Zeit Teil des Dorf- und Straßenlebens. Jeder kann sich von seiner Tante, Cousine, Mutter, Freundin oder Nachbarin verabschieden. Oder einfach vorbeikommen mit seiner Plastikbüchse und sich Suppe oder eine große Kelle süßen Kürbis-Matsch abholen. Drei Tage öffentliche Trauerfeier bedeuten drei Tage durchgängiges Kochen für die übermüdeten Frauen, die für stetigen Nachschub in den fässergroßen Töpfen sorgen müssen. Später ziehen sie alle zum Friedhof, mit etwa vierhundert Leuten. Während wir jetzt warmen Kürbisbrei löffeln, widmen sich Jorges Cousins weiterhin dem Bierkasten in ihrer Mitte, den sie bereits halb geleert haben. Ihre Aufmerksamkeit ist jetzt auf uns gerichtet. Nachdem wir wieder gefragt werden, ob denn unsere Haare 'natural' oder gefärbt sind, präsentiert der eine der angetüdelten 'primos' nun seinen Bart. Für ihn sein ganzer Stolz, für uns kaum zu erkennen: inmitten der schwarzen Stoppeln wachsen vereinzelt rote Barthaare. „Auch wenn ihr mir das nicht glaubt, die sind echt“ gibt er in der Runde an… er sei ja auch entfernt mit einem Gringo verwandt!

Wir verlassen heute wieder die abgeschiedenen Örtchen. Vogelstimmen wechseln sich ab mit dem Auto des 'servicio técnico', der uns immer wieder einholt. Die Straße ist asphaltiert. Dicke rosa Taranteln, faustgroße, haarige Vogelspinnen, kreuzen die Straße und bringen sich gegen unsere Fahrradreifen in Stellung. Viele schaffen es nicht und bleiben platt auf der Straße kleben. Wir radeln noch bis in die nächstgrößere Stadt, bis Huamachuco. „Wohin wollt ihr?“, fragt uns der kleine Junge auf der Straße, der uns ansieht, dass wir nicht so ganz wissen, wohin mit uns. „Wir suchen das Haus von Señor Marco“. Wir kennen Señor Marco aus Huamachuco gar nicht. Aber jetzt klingeln wir bei familia Ramírez und stammeln irgendwas von „Wir sind cicloviajeros, Radreisende, und wir haben gehört...“ und schon macht uns jemand auf. Denn familia Ramírez hat vor einiger Zeit damit begonnen, ihren Garten für Radler aus aller Welt zu öffnen. Das spricht sich rum und so sind wir nicht die einzigen Radreisenden hier. Auch Leo und Amalia aus Venezuela sind zu Gast und während die beiden jetzt auf der 'cuatro venezolano' spielen, eine kleine, viersaitige Gitarre, bauen wir unser Zelt im Garten auf. Und heute Abend lädt uns familia Ramírez noch ein zu 'té' und 'cena'.

Wir radeln durch Perus Norden, durch Dörfchen und Orte. In Chaquilbamba geht gerade die musikalische Post ab. Städte sind alle ähnlich aufgebaut: Das Zentrum der Stadt ist die 'plaza de armas', der „Waffenplatz“. Drumherum ist eine kaum restaurierte, koloniale Altstadt mit kleinen Einbahnstraßen, vielen Motos und viel zu engen Bürgersteigen. Ein wuseliger, spannender 'mercado' ist in der Nähe. Und um die Altstadt herum wächst der immer größere Teil mit hässligen, unfertig aussehenden Neubauten. 

Genauso eine Stadt ist auch Cajamarca. Von hier ist es nicht mehr allzu weit bis zur ecuadorianischen Grenze. Wann wir weiterreisen, bleibt aber vorerst unklar, da sich Ecuador gerade durch Proteste und Straßensperren im Ausnahmezustand befindet. Und wie wir weiterreisen, müssen wir uns auch noch überlegen. Denn zumindest ich werde eine Zeit lang pausieren müssen. Seit einer Weile schon plagen Schmerzen meine Knie, die in dieser bergigen Landschaft einfach nicht zur Ruhe kommen können. Aber heute Abend ist das egal. Wir werden zum Saufen entführt und kippen uns jetzt mit unseren Warmshowers-Gastgebern Herbert und Adriana ordentlich süßen, stark alkoholischen Zuckerrohrmix hinter die Birne.

Wir genießen die kleinen peruanischen Alltagsfreuden Cajamarcas in vollen Zügen, treffen uns mit netten Menschen, gehen mit Antony und Carlos aus dem Fahrradladen ‚sopa verde‘ essen oder Bier trinken. Wir schlecken Physalis- und Lucuma-Eis auf der plaza und erkunden die schöne Altstadt mit ihren alten Lehmhäusern und vielen Kirchen. Aber nicht jede Kirche hier hat einen Glockenturm, auch wenn diese Türme den Gebäuden offensichtlich fehlen, um als Kirche eindeutig erkennbar zu sein. Aber da die Spanier damals Steuern auf fertiggebaute Gotteshäuser erhoben, ließ man den Glockenturm oft einfach weg, so wie bei der Kathedrale am Platz. Jeden Tag zieht es uns in eines der vegetarischen Restaurants. Billige, gesunde Mittagsmenüs, bei denen wir meist die einzigen unterhalb des Rentenalters sind. Vegetarisch essen ist hier nicht angesagt und fancy, sondern ein ziemliches Alte-Leute-Ding und nicht selten eine Empfehlung vom Doktor. Gesundes Essen als Medizin- so bewirbt auch das Lokal hier sein Essen: Verbesserung der Lebensqualität durch gesunde Gerichte. So ein bisschen wundern wir uns aber doch, dass heute 'cuy', Meerschweinchen, in der Auswahl der vegetarischen Tagesgerichte steht.

Wir setzen uns unter die bunten Schirme der in der Stadt so zahlreich verteilten Saftstände, bestellen uns göttliche Mango- oder Papaya-Jugos. Unentwegt werden die Metallarme der großen Orangenpressen nach unten gedrückt. Mit viel Kraft, sodass es auch der letzte Tropfen Saft aus der 'naranja' schafft. Die Leute bestellen sich ihre großen Gläser durchs offene Autofenster und bleiben im Auto sitzen. Den Saft gibt es nie ohne 'yapa', den obligatorischen Nachschlag-  eigentlich ein zweites Glas. 

Jetzt schlürfen wir beide unseren Frühstücks-Yapa Quinua und ich wünschte, wir würden noch etliche mehr bekommen, damit sich der Abschied noch weiter hinauszögert. Es ist noch ziemlich früh, aber es geht heute wieder aufs Rad, allerdings nur für Arne. Er radelt weiter gen Norden. Die Lage in Ecuador hat sich entspannt. Ich werde noch in Cajamarca bleiben und später mit dem Bus hinterher fahren. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, Arne davon radeln zu sehen, nachdem wir anderthalb Jahre gemeinsam unterwegs waren. 

Der Abschied von Hanna fühlt sich komisch an. Bald überwiegt aber die Freude übers Weiterradeln, noch dazu mit leichtem Gepäck. Alles, was ich nicht brauche, wird mit Hanna im Bus Richtung Norden fahren. Es geht wieder mal bergauf. Das neben mir sind aber überhaupt keine normalen Berge. Sie sind merkwürdig kantig und stufig. 

Sie gehören zum Yanacocha-Bergwerk, eine der ertragreichsten Goldminen der Welt. Seit 1993 wird hier tonnenweise Gold aus dem Berg geholt. Die US-amerikanische Bergbaukonzern Newmont Mining Corporation begann hier zu Beginn der Neunziger Jahre mit dem Abbau,  gemeinsam mit dem Anteilseigner Buenaventura, einem peruanischem Unternehmen. Bauern, die hier in dem kargen Gebiet ihre Weideflächen hatten, mussten weg. Wer sein Land nicht zu Spottpreisen verkaufte, der sah sich Drohungen ausgesetzt. Anwälte mahnten mit Enteignung und Vertreibung. Die Anwesenheit bewaffneter Polizisten sollte einschüchtern. Mächte, denen sich die Bauern nicht stellen konnten. Planierraupen zerstörten Weideflächen. Auf den Ländereien der campesinos, der Bauern, wurde ohne offizielle Erlaubnis einfach mit den Arbeiten begonnen. Die campesinos verloren ihr Land, ihre Tiere und somit ihre Lebensgrundlage. Interessen der einheimischen Bevölkerung kümmern die Minenbetreiber nicht. Und wer interessiert sich schon für die indigenen Bauern- nicht der peruanische Staat und schon gar nicht die Konzerne. Die Goldmine Yanacocha ist die rentabelste der Welt, betrachtet man das Verhältnis von Investition und Ertrag. Aber nur wenige profitieren von ihr. Die Reichtümer werden ins Ausland gebracht, während der Großteil der Bevölkerung von diesen nichts abbekommt. Obwohl zwar das Bruttosozialprodukt seit dem Betreiben der Goldmine extrem angestiegen ist, ist die Armut in der Region Cajamarca gleichzeitig größer geworden. Steuergelder werden nicht in die Region investiert, vieles geht in die Rückzahlung von IWF- Krediten. Angekündigte Arbeitsplätze entpuppten sich als leere Versprechen, denn Arbeitskräfte aus der Region werden im hoch technologisierten Goldabbau gar nicht gebraucht. Gleichzeitig sind mit der Ankunft der Ingenieure und Arbeiter von außerhalb die Mieten und Immobilienpreise in Cajamarca extrem gestiegen. Die Region profitiert nicht. Soziale Ungleichheiten werden sogar noch größer. Und die eigentlichen Eigentümer des Landes gehen nicht nur leer aus, sondern verlieren alles und rutschen oft in die Armut. Insbesondere die indigene Bevölkerung ist von ihr betroffen.  Das schlimmste für die Menschen und die Region ist jedoch die Umweltzerstörung durch den Goldabbau. Das Gold wird mit dem Einsatz von stark giftigem Natriumzyanid gewonnen. Der Abbau ist sehr wasserintensiv, v.a. aber bringt er durch die giftigen Substanzen große Gefahren mit sich. Auf dem Gebiet der Yanacocha Goldmine entspringen gleich mehrere Flüsse, die für die Wasserversorgung der Gegend essentiell sind. Immer wieder gelangen Chemikalien in den Boden und in das Grundwasser. 

 

Und weils so profitabel ist, gleich noch mal. Pläne zur Erschließung einer noch größeren Gold-und Kupfermine wurden nach der vom Konzern vorgelegten "Umweltverträglichkeitsstudie" vom Präsidenten Garcia 2011 genehmigt. Mehrere Bergseen sollten dafür trockengelegt werden, die wichtige Wasserrevoirs darstellen. Seit jeher sind für die Menschen in den Bergen Wasser und Boden die wichtigsten Lebensquellen. Mutter Erde und das Wasser werden verehrt und sie bekommen kleine Opfergaben. Denn die Menschen wissen, dass sie der Natur alles verdanken, was sie haben. Umso brutaler erscheint dagegen die unstillbare Gier nach Gold und Bodenschätzen. Die lokale Bevölkerung hat sich gegen das Erweiterungsprojekt „Conga“ gewehrt und über mehrere Jahre hinweg gegen weitere Zerstörungen demonstriert. Mehrere Demonstranten sind bei den Protesten ums Leben gekommen. Zumindest derzeit sind die Pläne auf Eis gelegt. Ob sie das auch bleiben? „Conga no va“- der Protestspruch am Berg-  die weißen Steine zu einem riesigen Schriftzug geformt- ist heute immer noch von der Plaza de Armas in Cajamarca aus sichtbar. Die Mine ist der große Gewinner der Liberalisierung des Marktes. Und symbolisch für die ungerechte Wirtschaft, unter der viele Länder Südamerikas leiden und die den Kontinent in großer Abhängigkeit hält. Politiker, die zulassen, das (meist ausländische) Unternehmen Raubbau am eigenen Land betreiben, dabei die Natur zerstören und die örtliche Armut nicht lindern, sondern meist verstärken. Der ausbeuterische Neo-Extraktivismus lässt zwar Wenige reich werden, bringt ansonsten jedoch hauptsächlich Zerstörung mit sich und öffnet den Ländern keineswegs einen Weg aus der Armuts- und Abhängigkeits-Spirale.  Seit der Ausbeutung durch die spanischen Kolonisten hat sich dahingehend nichts verändert. Es interessiert nur, wie man vor Ort möglichst viel Profit machen kann.

Arne: Ich radel weiter, lasse die Minen hinter mir und fahre hinein in den nächsten Regenschauer. Sonne und Niederschlag wechseln sich jetzt ständig ab. Habe ich gerade die Regensachen angezogen, verzieht sich die schwarze Wolke plötzlich und ich schwitze unter der Plastikschicht. Heute Nacht schüttet es so stark, dass ich am nächsten Morgen eine kleine Pfütze im Zelt entdecke. Ab jetzt werde ich täglich ordentlich nass auf dem Rad. Nicht gerade motivierend, wenn schon der Morgen so beginnt, dass man Zelt oder Unterkunft überhaupt nicht verlassen will. Gut aber, dass sich das Wetter so schnell ändert und ich kurz darauf bei schönstem Sonnenschein doch noch in den Tag starten kann.

 

Hanna: Auch hier in Cajamarca regnet es mittlerweile jeden Nachmittag heftig. Regengüsse bringen kleine, dreckige Flüsse mit sich, die über den Beton die Straße herabschießen. Im Regen löst sich die Hundescheiße auf und bringt statt den charakteristischen Regengeruch einen unangenehmen Gestank mit sich.

Arne: Bei mir sind schon wieder die Hunde los. Diese scheiß Köter habe ich mittlerweile sowas von satt! Die rasen von den Häusern auf die Straße. Gestern bin ich gestürzt auf den Schotter: die Hand schmerzt, das Lenkerband ist kaputt und dem Reifen ist direkt die Luft rausgegangen. Während ich am Straßenrand meinen Reifen flicke- stürzen sich die Kleffer auf jedes vorbeifahrende Moped. Und die Besitzer interessiert es nicht die Bohne. Ich bin sauer und es kotzt mich so an, dass sich hier niemand für seine aggressiven Hunde verantwortlich fühlt. Aber ich stoße nur auf taube Ohren und blöd lächelnde Gesichter, als ich das den Leuten klarmachen will. Und jetzt bin ich schon wieder beinahe gestürzt, bergab mit 50km/h auf dem Tacho, weil mir diese Hunde vor das Fahrrad gerannt sind. Momente, in denen ich Peru einfach satt habe! Und ich hoffe inständig, dass sich das Hundeproblem in Ecuador erledigt.

 

Hanna: Ich lasse ab jetzt mein Fahrrad stehen und fahre Minibus. "Jesus weist mir den Weg", steht hinten auf den Bus geklebt. Hoffentlich will auch Jesus zum mercado central. In einem kleinen Collectivo arbeiten zwei Leute. Der Fahrer und der Schiebetür-Wächter. Letzerer ist permanent in Bewegung, der Kopf ist durchs offene Fenster nach draußen gestreckt. Während der Fahrt wird die Schiebetür geöffnet, damit die am Straßenrand stehenden flink hineinhopsen können. Auf und zu- auf und zu. Dabei teilt er den Menschen am Straßenrand die Stationen mit und sammelt gleichzeitig das Geld ein. Als sich über zwanzig Leute in den Van quetschen und sich ein Po in mein Gesicht drückt, steige ich aus und laufe den Rest. Da ist er wieder, der abwechslungsreichste Hindernislauf Perus- der Fußweg. Tiefe Löcher, Gitter, durch die der ganze Fuß durchgleiten kann, kniehohe Stufen, Müllsäcke, Hundekacke, ein Deckchen mit Obst, ein Eimer voller Käse, ein Korb voll mit Brot, Verkäuferinnen, gestapelte Ziegel, ein Wasserstrahl von oben, ein schlafender Hund quer über den ganzen Gehsteig. Der Gehweg gehört allen gleichermaßen und ist eindeutig nicht breit genug.

Arne:  Mein Tag beginnt heute endlich mal am Medizinstand. Ich bin neugierig auf die gesunden Getränke, die überall in Peru auf der Straße zusammengemixt werden. Verschiedene Fläschchen und Flaschen, ein dampfender Topf, frische Aloevera. Er kann was gegen Gastritis mixen, was Bitteres, was Entzündungshemmendes mit 'manzanilla' (Kamille) oder Spezialmixturen. Alles aus Kräutern zusammengestellt. Ich entscheide mich für den Entzündungshemmer und hoffe, dass die schleimige Aloevera dabei ist. Ist sie nicht. Egal- Hauptsache gesund und lecker. 

Durch schöne Städte komme ich nun nicht mehr. Würde man nur die zurechtgemachten Dorfplätze sehen, könnte man das zwar denken, aber alles, was sich nicht um den  quadratischen, bepflanzten Platz gruppiert, ist nun wirklich nicht einladend. Meine Radeltage sind jetzt ziemlich lang. Da ist es gut, wenn der Tag entspannt zu Ende geht, ordentlich bergab. Mit Entspannung hat allerdings Jaens Straßenleben nun wirklich nichts zu tun. Noch nie habe ich an einem Ort so viele motos gesehen! Aber ein Gutes hat dieser Ort auf 500 Metern Höhe, es ist endlich mal wieder richtig sommerlich warm. 

 

Hanna: Ich ziehe um, raus aus Cajamarca, für ein paar Tage nach Baños zu Abraham und Marcello in den schönsten Garten weit und breit. Kolibris fliegen von Blüte zu Blüte in diesem dicht bewachsenen Grundstück. Die kleinen, bunten Vögel bleiben mitten in der Luft stehen, die Flügelchen schlagen so schnell, dass sie auch von Libellen sein könnten. Mit ihren langen, dünnen Schnäbeln gelangen sie sogar an den Nektar der langen, orangenen Kantu-Blütenkelche.  Wir- meine Kurz-WG und ich und der kleine Kater Vince- lassen es uns gutgehen, entspannen das Wochenende im Garten, schmeißen Grill oder Pizzaofen an. Im 'Baño del Inca' tauche ich täglich in eines der vielen, kleinen Thermalbecken. Die ersetzen hier die häuslichen Badewannen.

Arne: Um mich herum hat sich die Natur vollkommen verändert. Der Landschaftswechsel ist beeindruckend. Ich wünschte, Hanna könnte gerade mitradeln und erleben, wie endlich aus der Kargheit Grün wird. Heiß und schwül ist es jetzt. Dickfellige Schafe haben hier nichts mehr zu suchen und Weideflächen sind verschwunden. Auf einen Schlag ist alles grün. Menschen stehen bis zu den Waden im Wasser der sattgrünen Reisfelder. Kokosnusspalmen tragen Früchte. Auch an den gigantischen Mangobäumen sind die Äste voll. Bananen- und Papayaplantagen überall. Hängematten gehören jetzt in den Alltag, auf Grundstücke oder an den Straßenrand. Die frischen Säfte der Mittagsmenüs kommen jetzt eisgekühlt an den Tisch. Bunte Sonnenschirme spenden den Straßenständen Schatten. Und Obst liegt zum Einsammeln auf der Straße herum. Ein Moto, kistenweise Physalis aufgeladen, holpert über die Geschwindigkeitshuckel und verliert seine Ladung- hinterlässt eine kilometerlange Physalisspur. 

So langsam komme ich der Grenze näher. Mein Zelt packe ich gleich nach Sonnenaufgang zusammen, um noch in der Morgenfrische über den Berg zu kommen und dann liegt Peru fast hinter mir. Ich freue mich auf Ecuador, seit langem mal wieder ein Länderwechsel. Ob ich noch was von den Protesten mitbekommen werde? Ob es friedlich bleiben wird? Noch ein Schnack mit dem peruanischen Grenzbeamten- dann reise ich aus. 

 

Hanna: Ich verlasse Peru mit dem Bus und ohne Cuy, Meerschweinchen probiert zu haben. Und mit gemischten Gefühlen. Die gestiegenen Pfiffe und 'hólas' seit der Zeit, in der ich allein auf den Straßen unterwegs war, machen mir den Abschied nicht schwer. Das wiederum machen die netten Menschen der letzten Tage und der wunderbare Garten. Aber nicht das ewige Gehupe auf den Straßen, der viele Müll, die Themen, die uns in Peru begegneten. Schon jetzt, an meinem letzten Tag in Peru, in der Stadt Piura, in dem schnieken Café, in dem ich die verbleibenden Stunden verbringe, bevor ich in den Nachtbus nach Ecuador steige, schon jetzt kommen mir die Berge und die dortigen, ärmlichen Lebensbedingungen wieder weit weg vor. In Peru wurden uns so viele Probleme entgegengeschleudert. Probleme, die es in vielen südamerikanischen Staaten gibt: politische Instabilität, große soziale Ungerechtigkeiten, Kolonialismus, der heute zwar nicht mehr so heißt, aber doch weiterhin besteht. Umweltprobleme und erste, spürbare Folgen des Klimawandels. Viele der Schönheiten und Besonderheiten des Landes können wir nicht losgelöst von den gravierenden Problemen betrachten. Diese wunderbaren, bunten Märkte Perus mit den tollen Früchten und Essensständen sind eben auch ein Ort, an dem die Menschen 70 Stunden die Woche arbeiten und sich mit dem Lohn davon gerade so über Wasser halten können. Da verwundert es nicht, dass wir überall in Peru müde oder schlafende Menschen an ihren Arbeitsplätzen sehen. Die Frau, die hier täglich von 7-17 Uhr Kaffee und Humitas zubereitet, zieht nur schief lächelnd ihre Augenbrauen hoch, als ich sie frage, ob ihr denn ihre Arbeit wenigstens Spaß mache. Und die Gemüseverkäuferin, die hier seit 18 Jahren hinter Avocados und Tomaten sitzt, hat noch keinen Tag Urlaub gemacht, das könne sie sich einfach nicht leisten. Und auch der alte Mathematiklehrer kommt mit seiner Rente gerade so über die Runden, meint er, während wir Café pasado schlürfen. Peru ist ein spannendes Land. Und ein sehr ungerechtes und kontrastreiches.

Ich verlade jetzt mein Fahrrad, steige in den Bus und werde irgendwann nachts in Ecuador ankommen und Arne überholen. Tür zu-Abfahrt.